StartAmputation & Prothetik„Menschen mit Behinderung können eben kein Auto fahren“

„Menschen mit Behinderung können eben kein Auto fahren“

Ein Erfahrungsbericht zum Thema Führerschein mit Handicap

In Deutschland haben etwa 57,68 Millionen Menschen einen Führerschein (Stand: 2021).
Und etwa 10 % der Bevölkerung haben einen offiziellen Grad der Schwerbehinderung. Rein
juristisch gesehen wird ein Mensch mit Behinderung nicht grundsätzlich von dem Besuch der
Fahrschule disqualifiziert, aber in der Realität werden einige zusätzliche bürokratische
Hürden geschaffen, über die meiner Meinung nach viel zu wenig gesprochen wird.
Damit meine ich natürlich nicht die Prüfung der Fahrtauglichkeit, sondern vielmehr den
Papierkram und die amtlichen Vorgänge, die oft keinen nachvollziehbaren Mehrwert bieten
und deshalb schlichtweg in die Mülltonne gehören. Als wäre die Fahrprüfung nicht ohnehin
schon stressig genug. Deswegen hier, et voilà, meine ganz persönliche Odyssee zum
Erlangen der Fahrerlaubnis.

Ich wollte mich zum Führerschein anmelden

„Menschen mit Behinderung können eben kein Auto fahren“, sagte mir die Dame in der
Fahrschule, als ich mich 2019 für den Führerschein anmelden wollte. „Wie bitte?“
Was die nette Frau an der Rezeption der örtlichen Fahrschule in einem Bremer Vorort nicht
weiß: Ich kann bereits fahren. Meine rechte Hand ist seit meiner Geburt fingerlos, und ich bin
es gewohnt, dass mir Zweihändige bestimmte Dinge erst mal nicht zutrauen. Deshalb habe
ich bereits im Vorhinein mit meiner Mutter – in einem Auto mit manuellem Getriebe –
geübt. „Dann kann mir keiner was, ich brauch es ja bloß zu zeigen!“, dachte ich.

Eine vier-spurige Straße, auf der Autos fahren. Links und rechts stehen Bäume.

Zu optimistisch

Anscheinend zu naiv und übermotiviert – für die deutsche Bürokratie. Antrag abgelehnt.
Die erste Fahrschule wollte sich nicht mal persönlich von meinen Qualitäten überzeugen. Na
gut, dann halt nicht. Fahrschulen gibt es schließlich wie Sand am Meer. Ich besitze selbst kein
Auto, aber wollte mir diese Möglichkeit einfach gern offenhalten. Auch in den weiteren
Fahrschulen, bei denen ich anschließend anfragte, war ich überrascht, wie eloquent mir das
Personal erklären wollte, dass ein Führerschein heutzutage nun wirklich nicht mehr soo
notwendig sei. Ach so. Ich hätte ihn aber trotzdem gern.

Eine spezialisierte Fahrschule musste her

Also musste ich, obwohl ich ja nun schon fahren konnte, eine spezialisierte Fahrschule für
Menschen mit Behinderung aufsuchen. Gut, dass es so was gibt, aber ich brauchte ja gar kein
umgebautes Auto. Und außerdem war sie viel teurer als jede andere. „Für den extra
Service“, versteht sich.

Die Sache mit dem Gutachten

Dort erzählte mir der Fahrlehrer, dass ich ein ärztliches Gutachten bräuchte. „Was soll da
drinstehen?“ „Na ja“, meinte er, „dass Deine Behinderung nicht degenerativ ist, also sich
nicht mit den Jahren verschlechtert.“ Dieser behördliche Vorgang war obligatorisch, aber
sollte sich ja in Anbetracht der Tatsache, dass sich meine Hand in den letzten 18 Jahren seit
meiner Geburt nicht verändert hat, als simpel erweisen. Tja – falsch gedacht.
„Das ist gar nicht so einfach“, meinte der Orthopäde. „Es könnte ja sein, dass Dir ein Auto
über die Hand fährt, und dann würde sich der Zustand ja verschlechtern“, witzelte er. Haha
– nein. Das könne er leider nicht unterschreiben. Ich war fassungslos – und den Tränen nahe.
Das konnte doch nicht wahr sein. Ich konnte doch schon längst Auto fahren.

Mit einer Prothese dürfe ich fahren, aber da weigerte sich die Versicherung, da diese nicht
immer zu 100 % reaktionsbereit und funktionstüchtig sei. Nach ewig langer Suche
im Bremer Ärzte:innen-Dschungel fand ich schließlich einen Arzt, der auf diese Form von
Gutachten spezialisiert war und mir meine Fahrtauglichkeit ohne Umschweife bestätigte.
In den folgenden Wochen verliefen die Stunden dann wieder unproblematisch.

Die Fahrprüfung

Doch als ich mich für die Fahrprüfung anmelden wollte, ereilte mich ein neues Problem: Ich brauchte ein weiteres Gutachten, und dafür fand sich leider auf die Schnelle kein geeignetes Personal. Na
großartig. All meine Freunde:innen konnten in der Zwischenzeit schon Auto fahren, nur ich
hing noch in den Warteschleifen von TÜV und Straßenverkehrsamt. Es sollten nicht die
letzten Telefonate mit diesen Institutionen sein. Denn als ich dann etwa ein halbes Jahr
später endlich einen Prüfungstermin bekam, wurde mir zunächst untersagt, diese im
Schaltwagen zu absolvieren. Ich sollte im Automatikauto fahren, weil der Gutachter dies als
sicherer einstufte. Zu diesem Zeitpunkt war mir leider nicht bewusst, dass ich danach dann
auch nie befugt sein würde, im Schaltwagen meiner Eltern zu fahren, und auch eine sehr
eingeschränkte Auswahl an Miet- und Carsharingautos zur Verfügung hätte.
Nachdem ich dann endlich die Prüfung erfolgreich absolviert hatte, kam der Gutachter zu
Wort: „Könnten Sie bitte noch mal das Radio anschalten? – Ja, genau so, danke.“ Für diese
zwei Sätze hatte ich 200 Euro gezahlt. Und als wäre das alles nicht genug, behaupteten später
alle beteiligten Institutionen monatelang, sie könnten meinen Führerschein nicht auffinden
und ich müsste ihn noch mal machen. Ja, es ist tatsächlich so, und wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, würde ich es auch nicht glauben.

 

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