Während das Wort behindert immer noch auf Schulhöfen als Schimpfwort missbraucht wird, stellt es für viele Menschen auf der ganzen Welt eine echte Lebensrealität dar. In Deutschland sind etwa 7,8 Millionen Menschen offiziell schwerbehindert. Jedoch dürften es deutlich mehr sein, denn nicht alle Behinderten haben diesen coolen grünen Ausweis beantragt. Und anderen wird er aus juristischen Gründen – trotz Behinderung – schlichtweg nicht zugesprochen.
Auf der Suche nach der großen Liebe
Und auch wenn es ein Großteil der Bevölkerung kaum für möglich hält: Wir wollen daten. Und wir sind eine Menge. Auch ich meldete mich 2020 bei Tinder an, um auf den Trend aufzuspringen und vielleicht meine bessere Hälfte zu finden. Kleiner Spoiler am Rande: Ich bin fündig geworden, aber nicht im Internet.
Aber Dating ist eben ein sehr intimes und persönliches Thema, so vielschichtig wie eine Zwiebel. Es zeigt gesellschaftliche Missstände nicht nur, sondern verstärkt sie mitunter noch.
Behinderung auf Profilfoto zeigen oder nicht?
So stellte ich mir schnell die Frage: Behinderung zeigen – ja oder nein? Denn mir fehlt seit meiner Geburt die rechte Hand (Dysmlie), und das weitverbreitete Stereotyp sagt mir, dass ich besser ankomme, wenn ich nicht zu offensiv mit meiner Behinderung umgehe. Das brachte mich in eine Zwickmühle, denn früher oder später würde es ja sowieso rauskommen. Ein Masterplan musste her: Bilder ohne fehlende Hand – die Erklärung dazu dann beim Treffen.
Tja. Meiner Aufregung tat dieses Verheimlichen natürlich nicht besonders gut. Und gleichzeitig ärgerte ich mich darüber, dass ich nun selbst dieses vermeintliche Bild von Behinderung reproduzierte. Ich fühlte mich an die Zeit in der Tanzschule erinnert, wo ich ständig auf der Hut war und mich extrem unwohl dabei fühlte, mit fremden Jungs zu tanzen. Weil ich mich ständig verpflichtet fühlte, ihnen zu erklären, warum ich anders bin. Fast so, als müsste ich mich dafür entschuldigen, ich zu sein.
Andere verschweigen auch
Ich will in diesem Text keine Horrorszenarien verbreiten. Meine Dating-Erfahrungen waren nicht schlecht. Im Gegenteil: Bei meinem ersten Tinder-Date verschwieg ich meine Behinderung bis zum Zeitpunkt des Treffens, und so stellte sich heraus, dass Lasse – der junge Herr, den ich daten wollte – selbst eine Behinderung hat. Er sitzt im Rollstuhl. Und er hatte es mir aus Unsicherheit ebenso verschwiegen. Denn auf seinen Fotos sah man ihn nur sitzend – mal im Strandkorb, mal auf dem Sofa. Als wir uns einander dann inklusive unserer Behinderung vorstellten, mussten wir beide lachen: „Du bist auch behindert und hast es auf Tinder verheimlicht?“
Aussortieren mit einer einzigen Handbewegung
Aber warum eigentlich? Es ist ohnehin äußerst fragwürdig, Menschen nur anhand von Fotos auszusortieren – mithilfe einer einzigen Handbewegung. Und wahrscheinlich lag ich gar nicht so falsch mit meiner Annahme, man hätte es als sichtbar behinderter Mensch in diesem Kontext deutlich schwieriger. Doch die Problematik ist offensichtlich: Ich wollte damit einen Teil meiner Identität leugnen und befeuerte das Stereotyp, ich sei ohne Behinderung begehrenswerter. Da ist der Denkfehler. Deshalb solidarisiere ich mich mit jedem behinderten Menschen, der gerade auf Partner*innensuche ist: Ihr seid wertvoll. Und dennoch kann ich es sehr gut nachvollziehen, dass ihr das Gefühl habt, euch für eure Behinderung rechtfertigen zu müssen, oder sie manchmal lieber verstecken wollt.