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Schmerz lass nach

Beim Zahnarzt gibt es eine örtliche Betäubung, bei der Gastroskopie wird man narkotisiert. Der Mensch von heute unterdrückt ganz selbstverständlich seine Schmerzen. Der Markt der freiverkäuflichen Schmerzmittel aus der Apotheke boomt. Wann aber ist ein Arztbesuch ratsam?

SO GEHT ES – EBEN NICHT

Deutschland, morgens um zehn. Ob Lorenz F. bei seinem Marathonlauf oder Harry F. beim Fußballspielen. Vor dem harten Sport wird eine „ASS“, „Para“ oder „Ibu“ eingenommen, damit Lorenz unbeschadet ans Ziel oder Harry auch nach einem groben Foul wieder so weiterspielen kann, als sei nichts geschehen. Bei Krämpfen wird auf Bedarf „Diclo“ gesprayt und gut ist es. Nach dem Sport wird kräftig gebechert und danach mit dem Sportwagen nach Hause gedonnert, während Carola schon zitternd am Schreibtisch kauert, denn sie darf morgen ihre Mathearbeit nicht vergeigen. Nervosität oder Kopfschmerzen sind ihre Begleiter. Zum Glück bekommt sie von Mama sicher wieder eine Tablette. Die hilft.

90 MILLIONEN PACKUNGEN FÜR 84 MILLIONEN MENSCHEN

Der sorglose Umgang mit frei verkäuflichen Schmerzmedikamenten aus der Apotheke boomt. Doch so harmlos, wie in den TV-Werbungen mit den Zwillingen und Katzen-Omis dargestellt, sind die Präparate nicht. Die Nebenwirkungen sind bei längerer Verwendung (ab drei Tage) beachtlich. In Verbindung mit alkoholischen Getränken oder anderen Medikamenten können sie sogar gefährlich werden und zur Sucht führen. 90 Millionen Packungen dieser OTC-Schmerzmittel (OTC = „über den Verkaufstisch“) im Wert von 550 Millionen Euro werden in Deutschland jährlich verkauft. Die Apotheker beraten eher oberflächlich („Sie wissen ja, wofür …“). In vielen Fällen ist die Verwendung der Tropfen, Salben und Pillen nämlich gar nicht nötig, wissen Fachleute.

Grund für den rasanten Verkaufszuwachs der Schmerzmittel ist das veränderte Schmerzverhalten der Bevölkerung. Den Schmerz als Warnreaktion des Körpers verstehen viele Menschen nicht mehr. Er stört bei Arbeit, Sport und Spiel – und muss schnell weg. Nebenwirkungen nimmt man in Kauf. Ein Arzttermin ist meist auch nur langfristig möglich. Oft schätzen die Patienten den Schmerz auch gar nicht richtig ein. Wegen einer vermeintlichen Lappalie „hält man es aus“ oder geht eher zum Apotheker, der schnell eine Packung „Schmerzstiller“ verkauft. Rund 20 % der Frauen und 33 % der Männer lesen laut einer Umfrage des RKI (Robert Koch Institutes) nicht die Beipackzettel und wissen daher nicht, dass diese Medikamente ohne ärztliche Anweisung nicht länger als 4 Tage eingenommen werden dürfen. Grundsätzlich ist Schmerzunterdrückung ratsam, wenn man danach dem Körper die geforderte Ruhe oder Schutz gibt. Doch heute werden diese OTC-Schmerz-Medikamente wie Kraftpillen oder Nahrungsergänzungsmittel verwendet, weil sie ja als harmlos gelten. Sind sie aber nicht. Sie sind lediglich älter und gehören damit nicht mehr zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erster Wahl.

FREI VERKÄUFLICHE SCHMERZMITTEL (OTC)

Es gibt eine ganze Reihe von OTC-Wirkstoffen mit gleichen Wirkungen und Nebenwirkungen, wobei hier nur die wichtigsten genannt werden sollen.

Der Wirkstoff Paracetamol wird bei leichten, vorübergehenden akuten Schmerzen (Zahnschmerzen, Kopfschmerzen, Regel-schmerzen) gegeben. Paracetamol befindet sich außerdem in vielen Arzneimitteln in Kombination mit anderen Wirkstoffen, z. B. bei Grippe mit Coffein (bei Niedergeschlagenheit) oder/und mit Vitamin C gegen Immunschwäche. Dies mag zwar helfen, doch bei wiederholter Verwendung steht Coffein im Verdacht, süchtig zu machen, sodass der Patient diese Grippemittel länger einnimmt, als er muss. Denn es gibt sie in Großpackungen (12, 24 oder 48 Kapseln) für „hartnäckige“ Erkrankungen, die nur einen Sinn haben: Die Maximierung des Herstellergewinns. Wer z. B. wirklich an einem grippalen Infekt leidet, erzielt mit einer Tablette Paracetamol und einem vitaminreichen Saft eine bessere Wirkung. Das kostet einen Bruchteil der Kombiarznei.

Bei leichten bis mäßigen akuten Schmerzen (siehe oben), bei akuten Rückenschmerzen, vor allem aber bei Fieber, empfehlen Apotheker oft den Wirkstoff Ibuprofen, weil er schneller und besser wirksam ist als Paracetamol. Sie vergessen nicht, die Nebenwirkungen zu erwähnen, die dem Patienten bei längerer Einnahme drohen: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Blähungen, Sodbrennen, Bauchschmerzen. Ein weiterer ist Diclofenac, welcher in Salben und Spray enthalten ist, die Nebenwirkungen sind ähnlich.

UND DIE PFLANZLICHEN SCHMERZMITTEL?

Auch das älteste Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS aus der Weidenrinde) sowie Nelke oder Teufelskrallenextrakt in hoher Konzentration gehören zu den OTC-Prä-paraten. Trotz der hohen Wirkstoffkonzentration sind diese Präparate aber eher schwach wirksam, mit ähnlichen Nebenwirkungen: Aus diesem Grunde müssen nun alle OTC-Präparate folgende Warnhinweise enthalten: „Bei Schmerzen oder Fieber ohne ärztlichen Rat nicht länger an-wenden als in der Packungsbeilage vorgegeben!“ Um Missbrauch zu vermeiden, soll es die OTC-Schmerzmittel künftig auch nur noch in einer 3er-Packung geben. Höhere Dosen können dann nur noch vom Arzt verschrieben werden (Stand: Juli 2018).

REZEPTPFLICHTIGE SCHMERZMITTEL

Auch wenn Paracetamol ein OTC-Medikament ist, kann es vom Arzt als Begleittherapie verschrieben werden. Seit langem werden von den Ärzten bei intensiveren und chronischen Erkrankungen Schmerzmittel nach einem festgesetzten Stufenschema der WHO eingesetzt, welches in jüngster Zeit aber ergänzt und aufgeweicht wurde. Welche Medikamente dabei eingesetzt werden müssen, entscheidet eine subjektive Messung in der Schmerzskala (von 0-10, die der Patient selbst durchführt) sowie andere Testmaßnahmen. Meist wird eine Schmerztherapie mit den bekannten Wirkstoffen Paracetamol, Ibuprofen etc. begonnen und erst dann gesteigert, wenn die Schmerzen chronisch oder stärker werden. Auch hier ist es wichtig, dass der Patient sich genau an die Vorgaben des Arztes hält und sich nicht noch zusätzliche OTC-Präparate beim Apotheker kauft, die den Genesungsverlauf unkontrollierbar machen könnten. Alle Maßnahmen, auch die Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln wie z. B. Vitamine, Mineralstoffe oder auch nichtmedikamentöse Maßnahmen (wie Yoga, Pilates, Kuren etc.), sollten mit dem Arzt besprochen werden.

Die landläufige Praxis, bei Schmerzen erst die Apotheke zu konsultieren und erst bei länger anhaltenden Schmerzen („chronisch“) einen Arztbesuch zu unternehmen, ist ein Irrweg und gefährlich. Denn ist der Schmerz erst mal chronisch, ist es schwierig, ihn zu beseitigen. Ärzteverbände fordern seit längerem, dass Schmerzmittel generell rezeptpflichtig sein müssten, denn Schmerzen sind immer ein Warnzeichen, welches vom Arzt abgeklärt werden müsste. So gesehen stellt sich die Frage, wann freiverkäufliche Schmerzmittel sinnvoll seien, gar nicht.

 

Ein Beitrag von Bernhard Veith

Fotos: pixabay.com

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