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Meine taube Welt

Ein Beitrag von Bianca Brosch

Ich bin Bianca Brosch, 28 Jahre jung, Sachbuch-Autorin, Unternehmerin und Mutter einer sechs Monate alten Tochter, die – so wie ich – taub geboren wurde. Die Hörbehinderung ist bei uns familiär bedingt und wurde bereits über mehrere Generationen weitervererbt. Ich bin die Erste in meiner Familie, die sowohl die deutsche Laut- als auch die Deutsche Gebärdensprache (DGS) beherrscht.

Famile kann nicht gebärden

Meine Familie kann leider nicht gebärden, was den Alltag oft sehr anstrengend macht, da es viele Missverständnisse gibt. Ich bin auch stolz darauf, taub zu sein. Schließlich stammen nur rund zehn Prozent aller tauben Kinder von hörbehinderten Eltern. Sie tragen das Erbe der Gehörlosenkultur – eine wirklich tolle kulturelle Minderheit, die es sich lohnt, kennenzulernen! Denn sie sind es, die ihren hörbehinderten Peers mit hörenden Eltern die Gebärdensprache vermitteln und das Wissen unter anderem um die Sitten, Bräuche und kulturellen Besonderheiten weitergeben. Diese Kinder nennt man auch Deaf Codas (engl.: Children of deaf adults; dt. Übersetzung: gehörlose Kinder gehörloser Eltern).

Gehörlosigkeit akzeptieren fiel schwer

Portrait von Bianca Brosch, sie lächelt in die Kamera.

Doch der Weg dahin, stolz auf meine Gehörlosigkeit zu sein, war lang. Das hat auch viel mit dem Bild unserer Gesellschaft gegenüber behinderten Menschen zu tun. In den Köpfen vieler Menschen gibt es unglaublich viele Vorurteile – auch gegenüber gehörlosen Menschen. Wir hörbehinderte Menschen haben eine Kommunikationsbehinderung. Daher fühlen wir uns – unabhängig vom Hörstatus (!) – oft nicht wirklich zugehörig, denn wir werden aus so ziemlich allen sozialen Situationen mehr oder minder ausgeschlossen. Wir müssen uns immer mit höchster Anstrengung irgendwie zusammenreimen, über was gesprochen wurde: dabei helfen können ein evtl. vorhandenes Restgehör, Lippenlesen, der Kontext, vorhandene Vorinformationen und/oder die nonverbale Kommunikation. Das allein ist oft schon unglaublich frustrierend, denn Teilhabe heißt etwas anderes.

Ein Haufen Vorurteile

Hinzu kommen dann noch die zahlreichen Vorurteile, denen wir uns nahezu täglich ausgesetzt sehen, wie zum Beispiel:

„Kannst du vom Mund ablesen?“

Nein, weil nur höchstens 30 Prozent aller Wörter „abgelesen“ werden können!

„Die Gebärdensprache hast du in der Schule gelernt, gell?“

Haha, schön wär’s! Leider wird nach wie vor an den meisten Schulen für Hörgeschädigte in der Lautsprache und somit zu großen Teilen an den Schüler*innen vorbeiunterrichtet. Ich spreche aus Erfahrung, da ich an einer Schule für Hörgeschädigte war, Sonderschulpädagogik studiert habe und mich aktuell im Referendariat befinde. Das ist auch der Grund, warum die Mehrheit der (von Geburt an) hörbehinderten Menschen keine Gebärdensprache kann!

„Die Gebärdensprache ist universal, nicht?“

Äh, nee, jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache, und auch innerhalb eines Landes gibt es Dialekte – und wo wir gerade dabei sind: Die Gebärdensprache ist eine richtige, anerkannte Sprache mit eigener Grammatik und kann nicht von heute auf morgen erlernt werden!

„Warum hast du kein Cochlea-Implantat (CI), damit könntest du doch normal hören?“

Äh, danke, ich habe es bereits ausprobiert hatte leider Schmerzen – und nein, normal hören konnte ich damit auch nicht. Das CI ist nur eine Prothese und kann niemals das normale Hören ersetzen. Nach wie vor gilt die Studie von Szagun, dass nur ein Drittel aller CI-Kinder eine normale Sprachentwicklung hat! Außerdem finde ich es auch eine Frechheit, dass die Anpassungsleistung immer seitens des Menschen mit Handicap kommen muss. Schließlich: „You can learn sign language, but I can’t learn to hear.“ (Benjamin Feldmann)

Das ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt von Vorurteilen, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden.

Nein, wir sind nicht dumm

Bianca Brosch, ihre Frau und die Tochter stehen eng bei einander und lächeln in die Kamera.

Ein anderes weitverbreitetes Vorurteil ist leider nach wie vor noch, dass Taubheit mit Dummheit gleichgesetzt wird und man daher als tauber Mensch nur eine eingeschränkte Berufswahl hat. Dieses Vorurteil hat mich und meine ebenfalls gehörlose Ehefrau die gesamte Schulzeit hinweg und auch noch im Studium (!) begleitet. Das war natürlich nicht sonderlich förderlich für unser Selbstbewusstsein und auch kräftezehrend, weil wir immer das Gefühl hatten, das Gegenteil beweisen zu müssen. Hinzu kam dann auch immer der Spruch meiner Eltern: „Du musst besser sein als die Hörenden, wenn du es weit im Leben bringen möchtest!“ Mittlerweile gehen wir entspannter mit den Vorurteilen um, meine Frau hat sogar ein Roman („Stille Verdrängung“, Corina Brosch) geschrieben, um die Gesellschaft auf eine schöne Art und Weise aufzuklären.  Auch haben wir uns dafür entschieden, es bei unserer Tochter anders zu machen. Sie darf und soll auch das Gefühl haben, dass sie perfekt ist, so wie sie ist. Sie hat keinen Makel, sondern sie ist besonders auf ihre Art und Weise. So wie jeder Mensch auf der Welt ganz besonders und einzigartig ist!

Mehr über Bianca Brosch finden Sie auf www.lovecaresign.com.

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