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Schwangerschaft und Multiple Sklerose

Besteht ein Risiko, und wie sieht es mit der Medikamenteneinnahme aus?

In Deutschland leiden circa 240 000 Menschen an Multipler Sklerose (MS) – allein drei Viertel davon sind Frauen. Viele fühlen sich unsicher, wenn es um das Thema Nachwuchs geht.

Die wichtigsten Fragen beantwortet uns Frau Dr. Daniela Rau, Fachärztin für Neurologie von der Nervenfachärztlichen Gemeinschaftspraxis Ulm.

Portraitfoto von Frau Dr. Rau

Besteht für Frauen, die an MS erkrankt sind, grundsätzlich ein Risiko, wenn sie schwanger werden?

Dr. Rau: „Frauen mit MS können und sollten in der heutigen Zeit ermutigt werden, schwanger zu werden. In mehreren wissenschaftlichen Studien (wie zum Beispiel ‚Pregnancy in Multiple Sclerosis‘) konnte eine Reduktion des Schubrisikos bei MS während einer Schwangerschaft gezeigt werden. Einen wichtigen Punkt stellt dabei eine gute Planung der Schwangerschaft dar, gerade auch im Hinblick prophylaktisch eingenommener Therapeutika.“

Auf was müssen betroffene Frauen achten, die sich ein Kind wünschen?

Dr. Rau: „Patientinnen mit MS und Kinderwunsch sollten gemeinsam mit ihrem:ihrer behandelnden Ärzt:in die Schwangerschaft gut planen, um ein hohes Maß an Sicherheit für Mutter und Kind zu ermöglichen. Generell empfiehlt es sich, eine Schwangerschaft sowie auch Empfängnis in einer stabilen Phase der MS zu planen. Zu berücksichtigen ist zudem, inwiefern eine prophylaktische MS-Therapie durchgeführt wird. Hier sollte stets im Vorfeld Rücksprache mit dem:der behandelnden Ärzt:in erfolgen.“

Inwiefern ist hinsichtlich der medikamentösen MS-Therapie Vorsicht geboten?

Dr. Rau: „Viele der aktuell verfügbaren und eingesetzten prophylaktischen MS-Therapeutika werden in der Schwangerschaft nicht empfohlen oder sind kontraindiziert. Sie müssen vor Planung einer Schwangerschaft abgesetzt werden. Manche Therapeutika benötigen auch einen Mindestzeitabstand zwischen letzter Einnahme und Eintreten einer Schwangerschaft – sowohl was die Frau als auch den werdenden Vater angeht. Als Folge des Absetzens eines prophylaktischen MS-Therapeutikums sollte zudem stets die Möglichkeit des Wiederauftretens der Krankheitsaktivität mit zeitlicher Verzögerung von ein bis drei Monaten bedacht werden. Im Vorfeld sollte daher stets eine umfangreiche Beratung und Rücksprache mit dem:der behandelnden Ärzt:in erfolgen. Dies ist auch für etwaige Medikamente, die zur Linderung bestehender MS-Symptome eingesetzt werden, zu empfehlen.“

Eine schwangere Frau steht vor einem Kinderbett .

Sind Frauen während der Schwangerschaft einem erhöhten Krankheitsrisiko ausgesetzt?

Dr. Rau: „In der groß angelegten Studie ‚Pregnancy in Multiple Sclerosis‘ konnte eine Reduktion des Schubrisikos bei MS während einer Schwangerschaft gezeigt werden. Per se liegt bei MS in der Regel also kein erhöhtes, sondern eher ein verringertes Krankheitsrisiko während einer Schwangerschaft vor. Berücksichtigt werden muss jedoch, inwiefern vor geplanter Empfängnis eine prophylaktische MS-Medikation abgesetzt werden musste und hierdurch ein möglicher Anstieg der Krankheitsaktivität in den ersten Monaten nach Beendigung der Therapie zu verzeichnen ist.“

Was wird MS-Betroffenen für die Schmerzbehandlung während der Geburt empfohlen?

Dr. Rau: „Die Empfehlungen seitens einer suffizienten Schmerzbehandlung, zum Beispiel mittels Spinal- oder Periduralanästhesie (PDA) und Entbindungsmodalität (Spontangeburt), unterscheiden sich für MS-Patientinnen nicht von denen für Nicht-MS-Patientinnen. Jede MS-Patientin kann daher zur Schmerzbehandlung beispielsweise eine PDA erhalten und spontan entbinden. Die generelle Indikation für einen Kaiserschnitt besteht keinesfalls.“

Sollten Mütter mit MS ihre Babys stillen, und ab wann sollte mit der medikamentösen Therapie wieder begonnen werden?

Dr. Rau: „Möchte eine MS-Patientin ihr Baby stillen, spricht primär nichts gegen diesen Wunsch. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Stillen einen schützenden Effekt haben und zu einer Reduktion der Schubrate führen kann. Dies trifft jedoch nur für ein ,ausschließliches Stillen‘ zu – wenn der Säugling von Geburt an nur Muttermilch erhält. Eine allgemeingültige Empfehlung für oder gegen das Stillen kann jedoch nicht so einfach gegeben werden, da sie maßgeblich vom individuellen Krankheitsverlauf und Wunsch der Patientin abhängig ist. Sollte in den beiden Jahren vor Eintritt der Schwangerschaft eine hochaktive MS vorliegen und/oder sich während der Schwangerschaft Krankheitsaktivität gezeigt haben, wäre ein frühzeitiger Beginn einer medikamentösen Therapie (zeitnah) nach der Entbindung zu empfehlen und sinnvoll. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nicht alle MS-Therapeutika während des Stillens angewendet werden dürfen und somit eine Kontraindikation für das (weitere) Stillen vorliegen könnte. In so einem Fall würde man der betroffenen Patientin unter Umständen aktiv vom Stillen abraten. Wenn die Patientin stillt, sollten regelmäßige und engmaschige Kontrolluntersuchungen bei dem betreuenden Neurologen bzw. der betreuenden Neurologin stattfinden. So kann ein Wiederaufflammen der Krankheitsaktivität frühzeitig erkannt bzw. nach dem Stillen (drei bis sechs Monate) erneut eine Prophylaxe begonnen werden.“

Eine Wäscheleine mit fünf Kindersocken, die mit jeweils einer Klammer daran befestigt sind.

Kann die hormonelle Umstellung nach der Geburt schnell wieder zu neuen Schüben führen?

Dr. Rau: „Nach der Geburt ist innerhalb der ersten drei Monate in der Tat ein deutlicher Anstieg der Wahrscheinlichkeit eines erneuten Krankheitsschubes zu beobachten. Nach diesem Zeitraum sinkt die Wahrscheinlichkeit in der Regel wieder auf das Niveau vor Eintreten der Schwangerschaft ab. In diesem Zeitraum hängt der Krankheitsverlauf jedoch insgesamt von vielen Einflussfaktoren ab, zum Beispiel davon, wie die Krankheitsaktivität in den letzten beiden Jahren vor Eintreten der Schwangerschaft und während der Schwangerschaft war, ob eine Patientin stillt, und beispielsweise von dem Wiederbeginn einer prophylaktischen Therapie.“

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