Sportlich träumt Ronja Schmölders als Sitzvolleyballerin von einer Paralympics-Teilnahme 2024 in Paris. Beruflich hat sie sich ihren Traum bereits erfüllt: Seit Mitte März arbeitet die 27-Jährige als Rechtsmedizinerin – und bekommt täglich mit, was andere nur im Krimi sehen.
Den Wunsch, Rechtsmedizinerin zu werden, hatte Ronja Schmölders schon früh. Im ZDF lief „Der letzte Zeuge“, und nur der Gerichtsmediziner verstand die Sprache der Toten so gut, dass er sagen konnte, ob es ein Unfall oder Mord war. Sitzvolleyballerin Schmölders, bei der mit 13 Jahren Knochenkrebs diagnostiziert worden war und die seither mit einer Umkehrplastik lebt, war fasziniert, ihr Traumberuf stand fest. Sie las vieles über die Arbeit eines Gerichtsmediziners. Da ein Berufspraktikum in der Schulzeit nicht möglich war, absolvierte sie dieses beim Bestatter, „um zu gucken, ob der Umgang mit Verstorbenen für mich in der Praxis überhaupt etwas ist.“
Nahezu parallel zum Berufswunsch entwickelte sich ihre Karriere im Sitzvolleyball. Mit 15 Jahren entdeckte sie die Sportart beim TSV Bayer 04 Leverkusen und wurde schnell auch zur Nationalmannschaft eingeladen. Als Kind hatte Schmölders Fußball gespielt, kletterte und ging zum Reiten – nach der Operation ging das nicht mehr. Doch Sitzvolleyball war optimal, um sich auszupowern. Für die Paralympics reichte es allerdings bislang nicht. Mit zwei fünften Plätzen bei den Europameisterschaften 2009 und 2011 und Platz sechs bei der WM 2010 verpasste sie mit der deutschen Damenmannschaft jeweils knapp die Qualifikation. Schmölders durfte die besondere Atmosphäre dennoch vor Ort erleben: Im Rahmen des Projekts „Excellence“ des Behinderten- und Rehabilitationssportverbands Nordrhein-Westfalen jubelte sie in London live mit, als die deutschen Sitzvolleyball-Herren Bronze holten. 2015 beschloss Schmölders, unter anderem aufgrund des Studiums, erst einmal mit dem Sitzvolleyball aufzuhören – für sie begann ein neuer Lebensabschnitt.
„Hinter jedem Leichnam steckt eine Geschichte“
In ihrem Medizinstudium in Düsseldorf absolvierte sie mehrere rechtsmedizinische Praktika. Diese bestärkten sie umso mehr in ihrem Berufswunsch. Aktuell schreibt sie auch ihre Doktorarbeit in der Rechtsmedizin. „Der menschliche Körper fasziniert mich außerordentlich. Nirgendwo sonst ist man so nah an der Anatomie“, sagt Schmölders. „Man darf Verstorbene aber auch nicht nur wissenschaftlich betrachten. Hinter jedem Leichnam steckt eine Geschichte, stehen Angehörige, die jemand Nahestehendes verloren haben. Den gebührenden Respekt darf man nie verlieren.“ Schmölders findet es spannend, wie am Körper sichtbar wird, ob beispielsweise jemand ertrunken ist oder bereits tot war, als er ins Wasser fiel. „Wir wissen das nie hundertprozentig, aber dank wissenschaftlicher Methoden können wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit rekonstruieren.“ Als Rechtsmedizinerin arbeitet Schmölders aber nicht nur mit Verstorbenen und untersucht Knochenfunde. Sie hat auch mit lebenden Menschen zu tun, die in die Gewaltopferambulanz des Krankenhauses kommen.
Schmölders sichert dann Spuren von Gewalttaten, dokumentiert diese gerichtsfest, inklusive Fotos und Skizzen, und fertigt Gutachten an, die gegebenenfalls vor Gericht Anwendung finden. „Wenige Leute wissen davon, aber selbst ohne eine darauffolgende Anzeige sind diese Ambulanzen hilfreiche Anlaufstationen, wenn Gewalt dokumentiert werden soll – egal ob bei häuslicher Gewalt, sexueller Gewalt oder auch nach einer Schlägerei.“
Rio 2016 sah Schmölders im Fernsehen, als sie fürs Physikum lernte
Während ihre berufliche Karriere durch das Studium immer weiter voranschritt, spielte der Volleyballsport kaum noch eine Rolle in ihrem Leben. Die Paralympics 2016 sah Schmölders in den Lernpausen im Fernsehen, als sie sich auf das Physikum vorbereitete. Erst 2018, als ihre slowenische Freundin Lena Gabrscek, die wie Schmölders früher bei Turnieren immer „das Küken“ war, sie bei einem Slowenien-Besuch mit zum Training nahm, kam Bewegung in die Sache. „Irgendwie hat mein Trainer Robert Grylak in Leverkusen mitbekommen, dass ich wieder gespielt habe und mich zum Essen eingeladen. Einfach zum Quatschen, wie er sagte – doch dann hat er den Kalender auf den Tisch gelegt.“ Schmölders wollte wieder spielen, aber nur im Verein. Bis der neue Nationaltrainer Christoph Herzog sie vor einem Turnier, dem Zühlsdorf-Cup, einlud, der neu aufgestellten Damen-Nationalmannschaft zuzuschauen. Sie könne ja auch Sportsachen mitbringen, sagte er – und fortan war Schmölders nicht nur im Verein aktiv, sondern auch wieder im Nationalteam dabei.
„Mir hat gefallen, dass alles deutlich professioneller war als damals, das kannte ich so nicht“, sagt sie über den neuen Schwung in der Nationalmannschaft. „Wir wollen Spaß haben, aber auch etwas erreichen – langfristig die Paralympics oder eine Medaille bei einem großen Turnier.“ 2019 wäre es fast so weit gewesen, doch beim Qualifikationsturnier in Kanada verpasste das Team die Paralympics in Tokio denkbar knapp. Inzwischen ist Schmölders sogar Kapitänin und im Nationalteam eine feste Größe, die kaum wegzudenken ist. Doch sie wiegelt ab: „Ich brauche schon Angreiferinnen, die meine Zuspiele verwerten können.“ Mit Sonja Scholten spielt eine Vereinskollegin aus Leverkusen als Angreiferin in der Nationalmannschaft: „So können wir in Leverkusen Spielzüge üben und wissen blind, wo die andere ist. Das ist sehr hilfreich auf und neben dem Feld – auch weil man bei Reisen zu Trainingslagern in Brandenburg oder Sachsen nicht die einzige Doofe ist, die aus NRW anreisen muss“, sagt Schmölders lachend.
„Boah Ronja, das ist doch nur ein Film!“
Ihr Ziel von einer Paralympics-Teilnahme ist aktueller denn je. Für das Paralympics-Ticket für Paris 2024 sollen möglichst gute Ergebnisse bei der EM im Oktober in der Türkei und dann auch bei der WM 2022 in China her. „Wenn das nicht klappt, müssen die Paralympics halt auch mal in Deutschland stattfinden, dann wären wir als Gastgeberinnen gesetzt“, sagt Schmölders schmunzelnd.
Seit November ist Schmölders anerkannte Ärztin und arbeitet inzwischen in der Düsseldorfer Rechtsmedizin, ein wahrer Glücksgriff, was den Standort angeht. „Jetzt fängt das an, wofür ich sechs Jahre gearbeitet habe.“ Täglich pendelt sie zwischen dem Wohnort in Mülheim an der Ruhr, der Arbeitsstelle sowie dem Balltraining in Leverkusen. „Da bin ich der Sportstiftung NRW sehr dankbar, dass sie mich finanziell unterstützt“, sagt Schmölders, die auch noch mit einem Gerücht aufräumt: Als Gerichtsmedizinerin fährt sie zwar auch zu Tatorten – das passiere aber nicht jeden Sonntagabend um 20.15 Uhr. „Krimis gucke ich trotzdem gerne, da passiert allerdings durchaus mehr als in der Realität.“ Ganz abschalten kann sie dabei jedoch nicht. Ihr Bruder erinnere sie dann immer: „Boah Ronja, das ist doch nur ein Film!“