StartAmputation & ProthetikWie zwei Prothesenträger Spitzbergen durchqueren

Wie zwei Prothesenträger Spitzbergen durchqueren

Zu Fuß durch die wilde Arktis

Im November 2022 wurde aus der Idee, den Norden Norwegens zu Fuß zu entdecken, ein fester Plan. Einmal in das legendäre Spitzbergen – das sollte der Abschluss der Bergführerkarriere von Rey sein. Der gebürtige Schweizer ist seit 43 Jahren in den Bergen unterwegs und weiß gut einzuschätzen, was im hohen Norden auf ihn und die Gruppe warten würde. Seit 20 Jahren amputiert, hat er viele Wanderungen und Expeditionen in den Bergwelten mit zwei, aber auch mit einem Bein durchgeführt. Im Jahr 2017 hat er (als erster Prothesenträger!) Grönland durchquert. „Es braucht wirklich mehr, wenn du nur mit einem Bein unterwegs bist“, erklärt der 68-Jährige wissend. Das hat ihn aber nie davon abgehalten, die Dinge zu tun, die er tun wollte.

Zwei Prothesenträger finden zusammen

Vor zwei Jahren bekommt er einen Anruf. Am anderen Ende ist Patrick, der bei einem Motorcross-Unfall sein linkes Bein eingebüßt hat. An der Sporthallenwand der Rehaklinik in Bellikon hatte er einen Artikel über Rey gefunden, der ihn zutiefst beeindruckt hat. Er nahm Kontakt auf. Die beiden Männer unterhielten sich und fanden sich schnell auf derselben Wellenlänge wieder. Rey lud ihn zu einer Gletschertour ein, und so lag es auch nahe, Patrick die Expedition nach Spitzbergen im November vorzuschlagen. „Ich rief an und fragte: ‚Patrick, ich will nach Spitzbergen, bist du dabei?‘ Und Patrick überlegte kurz und antwortete: ‚Ja, klar.‘“

Im April 2023 sollte es so weit sein. Beide Männer erstellen einen Trainingsplan und suchen weitere Begleitende für die Tour. „Wandern im Schnee war vorgesehen und das Vertrautmachen mit den speziellen Skiern, die in Spitzbergen genutzt werden würden. Leider war wenig Schnee bei uns hier in der Schweiz. Ich wohne in den Bergen, also da, wo der Schnee zu Hause ist. Aber selbst hier war es lange grün. Da musste man schon auf Passhöhe, um den Schnee zu finden. Sonst kann ich gleich vor der Haustür losfahren. Es war also nicht ganz einfach“, erzählt Rey. „Die Vorbereitungen liefen anders als geplant. Das war über die Zeit etwas frustrierend, weil man durch den fehlenden Schnee lange Anreisen zu den Trainingsorten hatte. Aber ich bin dann auch viel so gewandert“, erinnert sich Patrick. „Ich bin ein Bewegungsmensch, hatte aber vorher keinerlei Expeditionserfahrungen. Daher hatte ich auch keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Aber ich hatte richtig Lust dazu! Rey und ich, wir haben da so ein Motto: ‚Mach alles, was du willst. Auch wenn andere sagen, das geht nicht. Probiere es! Und wenn es nicht klappt, dann hast du es aber wenigstens probiert!‘“

Schneewüste bei minus 35 Grad

Eine weiße Schneelandschaft mit weißen Schneebergen im Hintergrund.

In einer weißen Schneelandschaft laufen zwei Menschen mit Skiern, im Hintergrund ein Schneeberg und zwei weitere Menschen.

Mit im Boot war ein deutscher Expeditionsanbieter, den Rey gut kannte. Dieser verfügte über ein großes Know-how im Bereich Arktis. Für alle würde es eine interessante Zusammenarbeit werden, da der Veranstalter vorher noch nie Teilnehmende mit Handicap in der Gruppe hatte. Zwölf Teilnehmende und drei Bergführer starteten so Mitte April die Reise durch Spitzbergen. Temperaturen: durchschnittlich zwischen minus 20 und 30 Grad, in der Spitze minus 35. „Man wusste nicht genau, was kommt. Wird das Training reichen? Im Nachhinein war es härter als gedacht. Man befand sich in Situationen, die konnte man nicht vorbereiten oder erahnen: Mit Skiern auf blankem Eis – da kam ich schon ganz schön ins Schwitzen. Aber man musste nehmen, was kam. Die Expedition war ein wahres Abenteuer und ein Erfolg. Es war faszinierend, wie alle zusammengearbeitet und es durchgezogen haben“, berichtet Patrick, der ebenfalls in der Schweiz lebt.

Mentale und körperliche Stärke

Für beide waren der zweite und dritte Tag die größte Herausforderung. „Ach, es war schon echt hart, da der Wind eisig und stark war. Da habe ich mich gefragt, ob ich mir das auch vorher gut überlegt habe“, schmunzelt Patrick. Rey bekam Muskelprobleme an seinem gesunden Bein und fiel tatsächlich nach hinten zurück. „Stell dir vor! Ein Bergführer ganz hinten! Da musste ich meinem Ego gut zureden, dass ich halt auch mal der Letzte bin“, lacht der erfahrene Bergsteiger. „Die Herausforderung mit der Prothese ist groß. Schwere Stiefel, Schnee, Skier – normal braucht die Prothese einen Abstoß, damit die Bewegung ausgelöst wird. Die hatten wir ja nicht, da wir uns auf Skiern fortbewegt haben. Alles zusammen waren es ca. acht Kilo zusätzlich, die nach vorne bewegt werden mussten.“

Ein Mann in einer Schneelandschaft umgeben von Bergen. Er steht auf Skiern. Am linken Bein trägt er eine Prothese. In den Händen hält er Skistöcker zur Fortbewegung. Hinter sich zieht er an einer Leine ein Boot.

In einer Schneelandschaft. Im vorderen Bild ein Mann, am liken Bein trägt er eine Prothese. Er hält sich an seinen Skistöckern fest. Links neben ihm ein Mann auf den Knien sitzend. Er stellt etwas an der Prothese des Mannes neben ihm ein. Daneben befinden sich zwei weitere Männer. Hinter ihnen drei Boote.

Wertvolle Erfahrungen und Lerngeschenke

Aufgrund der umfangreichen Erfahrungen von Rey bestand er darauf, dass jeder eine zweite Prothese mit auf die Reise nehmen sollte. Beide waren mit dem RHEO KNEE XC von Össur unterwegs, die ca. zweieinhalb Tage ohne Strom auskamen. Mitgeführte Powerbanks hielten Strom für zwei bis drei Ladungen vor. „Rey gab mir den Rat, das Bein beim Laden mit in den Schlafsack zu nehmen. Ich dachte mir: ‚Nee, das ist ja viel zu kalt! Das kann schön neben meinem Schlafsack laden.‘ Nächsten Morgen zeigte meine Prothese einen schwachen Akku an, aber ich ging von einer Fehlermeldung aus. Also sind wir losgelaufen und ziemlich schnell war klar: Es hatte tatsächlich keinen Strom mehr. Denn: Durch die Kälte hatte sich die Batterie nicht aufgeladen. Man, habe ich mich geärgert, weil ich ja den Rat bekommen hatte, aber ich meinte, es besser zu wissen“, gibt Patrick reumütig zu. Rey hat nur wissend gelächelt. „Die Erfahrung muss jede:r sammeln, die macht man auch nur einmal. Dann weiß man Bescheid.“ Gut, dass beide ein Ersatzbein dabeihatten: das OP4-Knee von Össur. Patrick konnte so das Bein wechseln und die Gruppe weiter.

In einem Zelt wurde aus Schnee eine Ablage gebaut, auf der Lebensmittel stehen und ein Gaskocher.

Erste Expedition von Prothesenträgern in Spitzbergen

„Es war schon ein großer Unterschied im Laufrhythmus von uns Amputierten und den Gesunden. Wir sind halt immer über unsere Grenzen gelaufen, denn wir leisten ja 60 Prozent mehr als die mit zwei gesunden Beinen. Aber wir waren immer nur einen halben Schritt zurück und haben die Gruppe nie aufgehalten.“ Für das kanadische Urgestein der Berge waren diese Tage ganz besonders. „Es war verrückt für mich. Ich wusste, es würde die letzte Expedition sein. Die Landschaft war so faszinierend. Und dazu die Mitternachtssonne! 24 Stunden am Tag hell! Wir haben abwechselnd Eisbärenwache gehalten, alle eine Stunde, während der Rest geschlafen hat. Man schaute in diese Wahnsinnslandschaft – mit ihren Gletschern, Schneewehen und den Bergen. Man kam zur Ruhe und konnte genießen, dass man endlich da war. Ganz oben in der Arktis, mit der Natur eins. Eine Riesenerfüllung für mich! Ich habe ein bisschen recherchiert: Wir sind die ersten mit Prothese, die eine Tour in Spitzbergen unternommen haben. Das ist schon ganz besonders. Meine Finger sind übrigens immer noch gefroren, aber ich weiß aus Erfahrung – das gibt sich wieder.“

Mehr über den Bergführer Rey erfahren Sie auf www.reykeller.ch. Und über die schneeerprobten Beinprothesen von Össur auf www.ossur.ch.

Eine Gruppe von Wanderern auf Skiern läuft in einer weitläufigen Schneelandschaft dem Horizont entgegen.

 

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