StartGeneration PlusHilfe bei der Pflege aus Osteuropa

Hilfe bei der Pflege aus Osteuropa

Im deutschsprachigen Raum leben mehr als vier Millionen pflegebedürftige ältere Menschen. Meistens übernehmen die Söhne und Töchter die Verantwortung und entscheiden, wie die Pflege der Eltern aussehen soll. Sigrid Tschöpe-Scheffler und ihre Mutter haben sich für die – in Deutschland durchaus umstrittene – Unterstützung durch 24-Stunden-Pflegekräfte aus Osteuropa entschieden.

So konnte die Mutter lange zu Hause leben, auch dann noch, als später der »schwarze Affe«, wie sie die fortschreitende Demenz nannte, hinzukam. Die pfiffige, weltoffene und humorvolle Dame ergreift die Chance, das Zusammenleben mit ihren Betreuungspersonen für einen persönlichen und kulturellen Austausch zu nutzen. In „Früher war ich ein flottes Huhn, heute bin ich eine lahme Ente“ hat die Autorin sonder- und wunderbare, zum Teil auch traurige Geschichten zusammengefasst, die zeigen, dass auch eine Pflegesituation lebendig und bereichernd sein kann.

BF: Sie haben damals zusammen mit Ihrer Mutter entschieden, dass diese trotz Pflegebedarf weiter in ihrer bisherigen Umgebung, ihrem Haus, wohnen bleiben kann. Es musste aber jemand gefunden werden, der dann rund um die Uhr für sie da sein sollte. Wie sind Sie bei der Informationsbeschaffung vorgegangen? Internet?

ST: Wir haben vor gut 18 Jahren angefangen, uns damit zu beschäftigen. Damals stand noch kein Internet zur Verfügung. Somit blieben uns nur die Zeitung und die Mund-zu-Mund-Propaganda. Eine Dame im Dorf hatte damals Erfahrungen mit einer Agentur gemacht, die Betreuerinnen aus Osteuropa vermittelte. Mit dieser haben wir dann angefangen. Ebenfalls eine Möglichkeit, Unterstützung zu bekommen, war die Initiative „Wohnen für Hilfe“, die Studierende vermittelte. Die jungen Leute konnten dann kostenlos wohnen, wenn sie einige Stunden in der Woche halfen. Das hat ein paar Jahre sehr gut geklappt.

BF: Inzwischen sind ja die Angebote von Agenturen (vor allem auch im Internet) sehr umfangreich geworden. Haben Sie einen Tipp, wie man herausfinden kann, ob diese seriös sind?

ST: In meinem Buch finden Sie dazu Angaben mit Informationen zu diesem Thema (S. 188 ff.), unter anderem Kriterien, nach denen man die passende Agentur wählen kann. Wichtig für mich war zum Beispiel, ob die Vermittler Steuernummern vorweisen können, wie die Sozial- und Krankenkassenbeiträge geregelt sind, aber auch, wie die konkrete Vergütung aussieht. Viele Agenturen haben hohe Büro- und Verwaltungskosten, die dann von dem Betrag abgezogen werden, den die Betreuerin erhält. Das wird nicht immer transparent gemacht.

Dieses Modell der sogenannten „24-Stunden-Hilfe“, das wir als das beste empfunden haben, befindet sich immer noch im Bereich der Grauzone. Und doch greifen immer mehr Menschen inzwischen darauf zurück, da es eine bezahlbare und individuelle Alternative zum Pflegeheim darstellt.

BF: Was würden Sie Menschen mit auf dem Weg geben, die sich gerade entscheiden müssen, wie es bezüglich Wohn- und Betreuungssituation weitergehen soll?

ST: Fragen Sie, wenn möglich, die Betroffenen selbst, wie sie sich das Ganze zukünftig vorstellen und überlegen Sie gemeinsam, was wie leistbar ist. Natürlich ist es sehr von Vorteil, wenn man so etwas schon frühzeitig bespricht, damit allen Beteiligten klar ist, welche Möglichkeiten es gibt und was die Passende sein könnte.

Überfordern Sie sich nicht! Besprechen Sie ehrlich miteinander, was geleistet werden kann und wo die Grenzen liegen. Eine wichtige Erfahrung diesbezüglich war für mich, delegieren zu lernen – und dann loszulassen und nicht zu kontrollieren.

Zudem ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sich die Beziehung zwischen den Beteiligten ändert. Plötzlich lösen sich Rollen auf und es findet eine neue Aufgabenverteilung statt.

Machen Sie sich darauf gefasst, dass alte Familienkonflikte wieder an die Oberfläche kommen. Sich in belastenden Situationen persönliche Hilfe zu holen, kann den Blick wieder weiten. Ich biete solche Beratungen an, in denen Angehörige zu mir kommen, die, wie sie sagen „auf dem Zahnfleisch“ gehen.

BF: Was hätten Sie im Nachhinein anders gemacht?

ST: Oh je, eine gute Frage! Meine Mutter ist vor ihrem Tod dann doch noch ins Pflegeheim umgezogen, da nicht nur ihre Mobilitätseinschränkungen zunahmen, sondern auch die Demenz immer weiter fortschritt. Ich habe nach ihrem Tod noch lange überlegt, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn sie bis zum Schluss in ihrem Haus geblieben wäre. Wir haben leider in einem Heim sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich war es für uns die beste aller Möglichkeiten, meine Mutter so lange, wie es ging, in ihrem Haus leben zu lassen, wo sie trotz ihrer Einschränkungen doch noch teilweise autonom sein konnte. Sie selbst hat es auch so empfunden. Ich kann aber auch hier nur betonen, dass es nicht für jeden die beste Lösung sein muss, die Betreuung mit den 24-Stunden-Hilfen aus Osteuropa zu teilen. Aber für uns war es der richtige Weg.

BF: Ihr Fazit?

ST: Dieses Modell macht eine individuelle und engmaschige Betreuung möglich und ist finanzierbar. Die Betreuerinnen waren allerdings nur ein Rad im Getriebe, das meiner Mutter das Leben in ihrem Haus möglich gemacht hat. Auch die Nachbarinnen, Freudinnen oder ambulante Dienste waren wichtig und nötig. Und die Angehörigen müssen natürlich als Bezugspersonen aber auch als Koordinatorinnen präsent bleiben.

Es war für uns ein „Projekt mit viel Versuch und Irrtum“, um meiner Mutter noch ein glückliches und halbwegs selbstständiges Leben bis fast zum Ende ihres Lebens zu ermöglichen.


STECKBRIEF

Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler

Porträt von Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler

Bis 2015 Professorin an der Technischen Hochschule Köln für Familienbildung und Leiterin des Instituts für Kindheit, Jugend und Familie. Sie arbeitet heute freiberuflich als Familien- und Erziehungsberaterin, Autorin und Referentin im In- und Ausland.

Mehr Informationen & Kontakt: Tschoepe-Scheffler@t-online.de

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