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Wenn Technik unter die Haut geht

Portemonnaie, Schlüssel, Smartphone – und los! Für die meisten Menschen sind das die drei wichtigsten Utensilien für unterwegs. Stellen Sie sich vor, dies alles sei überflüssig und gespeichert auf einem Chip. Unter der Haut. Für die meisten unter uns eine ziemlich gruselige Vorstellung.

Nicht für sogenannte Transhumanisten. Sie streben ein Leben im Modus halb Mensch, halb Maschine an. Sie wollen mit der Technik verschmelzen und mit digitalen Implantaten dem eigenen Körper neue Fähigkeiten geben.

Maschinenmenschen

Cyborg (oft auch Transhumanist genannt) leitet sich von „Cybernetic Organism“ ab und wird als Misch-wesen aus lebendigem Organismus und Maschine bezeichnet. Zumeist werden damit Menschen beschrieben, deren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzt werden. Darunter fallen verschiedene Technologien, deren einzige Gemeinsamkeit ihre elektronische Komponente ist. Was viele nicht wissen: Definitionsgemäß gelten Träger von Herzschrittmachern, Prothesen oder Hörgeräten schon als Cyborg.

Bequeme Erleichterung, wertvolles Bodyhacking

Das Thema ist heikel, sehr heikel. Es erhitzt die Gemüter und polarisiert. Aber was ist denn alles möglich im Bereich der Cyborg-Technologie?
Viel! Die digitalen Implantate bilden eine neue Schnittstelle in der Mensch-Maschine-Interaktion. Die Einsatzmöglichkeiten wachsen fortlaufend und machen es möglich, Daten und Informationen permanent im eigenen Körper zu speichern sowie auf einfache Art und Weise mit der Umgebung zu interagieren.

Als Chipträger wäre es möglich, die eigene Haustüre zu öffnen, das Handy zu entsperren oder sogar zu bezahlen, Apps zu steuern sowie Passwörter abzufragen, medizinische (Notfall-)Informationen, das Fahrticket für die Bahn oder das Abo für das Fitnesscenter in sich zu tragen.

Die Minidatenträger stecken noch in der Experimentierphase, doch es wird erwartet, dass die Anwendungsmöglichkeiten rasant zunehmen werden. Denkt man an gesunde Menschen, sind diese Implantate derzeit noch ein absolutes Nice-to-Have. Für Patienten mit Alzheimer, Parkinson oder bei blinden Menschen könnte dies eine echte Erleichterung im Alltag sein und ihre Lebensqualität massiv steigern, so Kenner der Szene. ETH-Professor Martin Fussenegger glaubt an ein großes Potenzial in der Medizin.

…oder Lizenz zum Datenmissbrauch?

Im Bereich Mikrochips wird mit Hochdruck daran gearbeitet, dass man das Portemonnaie bald nicht mehr braucht. Spezialisten rechnen damit, dass dies in ein bis zwei Jahren der Fall und auch das Handy in zehn bis fünfzehn Jahren obsolet sein wird.
Über allem steht die Angst vor Datenmissbrauch, Datendiebstahl oder der permanenten Überwachung. Ob wir das Smartphone in unserem Körper haben oder es in der Tasche mit uns tragen, macht keinen Unterschied, entgegnen Spezialisten auf diesem Gebiet.

trägt selbst drei Mikrochips im Körper: Patrick Kramer, Chief Cyborg Officer von Digiwell

Pioniere in der Cyborg Technologie

Einer, der weiß, wovon er spricht, ist Patrick Kramer. Er forscht im Bereich der Cyborg-Technologie und trägt selbst drei Mikrochips im Körper. Er hat die Plattform Digiwell.com gegründet und ist dort als Chief Cyborg Officer tätig. Digiwell will nach eigener Aussage eine Transformation des Menschen erreichen, ihn „upgra-den“. Hierfür stellt das Unternehmen Produkte, Workshops und Beratungsleistungen passend zur Transformation bereit. Das Sortiment umfasst dabei schlichtere Artikel wie Spezial-Nahrungsergänzungsmittel zur Verbesserung der kognitiven Funktionen, aber auch vermeintliche Körper-Upgrades in Form von smarten Implantaten, Schlafmasken zur Traumkontrolle und Elektroimpulsgeräten.

Auch der 30-jährige Justin Worst bezeichnet sich als Cyborg. Er lebt seit Jahren mit Magneten, Sensoren und Chips unter der Haut. Die verschiedenen Implantate sollen ihm das Leben erleichtern und unter anderem Auskunft über seinen medizinischen Zustand geben. Er ist Mitbegründer des Biotechnologie-Start-ups Grindhouse Wetware; einem Unternehmen, das an technologischen Body Modifications arbeitet, die in Zukunft mehr und mehr Einfluss auf unseren Körper haben und sogar Leben mittels eines implantierten Notrufsensors retten sollen.

Und dann gibt es den bekennenden Transhumanisten Mike Schaffner. Er trägt drei Chips unter der Haut und glaubt fest an die Weiterentwicklung des Menschen – hin zur Menschenmaschine. Er will in Zukunft mit seinen Implantaten nicht nur seine Haustüre öffnen oder das Handy entsperren, sondern damit bezahlen, seine Patientendaten in sich tragen und seine Sinne erweitern. Um diesem Ziel näher zu kommen, ließ er sich schon Magnete in die Fingerspitzen implantieren. So kann er elektromagnetische Wellen wahrnehmen.

Der Brite Liviu Babitz wiederum ist ein wandelnder Kompass und Gründer der Firma Cyborg Nest. Ein Gadget auf seiner Brust vibriert, wenn er sich nach Norden dreht. Der North Sense, so heißt das Gerät, verbindet den Träger mit dem Magnetfeld der Erde.

Der wohl bekannteste und auffälligste Cyborg jedoch dürfte Neil Harbisson sein. Er ist seit Geburt Farbenblind und sieht alles in Grautönen. Deshalb ließ er sich eine Antenne in den Kopf implantieren, welche mittlerweile fest mit dem Schädelknochen verwachsen ist. Diese verwandelt Farben in hörbare Frequenzen.Er kann nun also Farben hören und sogar Ultraviolett erkennen. Neil Harbisson ist der erste amtlich anerkannte Cyborg. Er findet, jeder sollte seine Sinne übermenschlich erweitern.

 

 

 

 

Text: Angela Wehrli / Mibelle AG, Fotos: digiwell.com, Dan Wilton/The Red Bulletin, Grafik: www.freepik.com T
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