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Botschafter:innen für mehr Barrierefreiheit 

Der Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter Menschen Baden-Württemberg e. V. (LSK) ist ein visionärer Selbsthilfeverband, der sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Vorreiter in der Inklusionsbewegung entwickelt hat. Er tritt für ein selbstbestimmtes Leben und eine inklusive Gesellschaft ein und ist in Baden-Württemberg mit  31 Stützpunkten vertreten, die von erfahrenen und geschulten Botschaftern:innen Barrierefreiheit vor Ort betreut werden.

Wir möchten Ihnen die Botschafter:innen in einer Interviewreihe im Einzelnen vorstellen:

Botschafterin 1:

Name: Kerstin Abele
Alter: 58 Jahre
Behinderungsart: Paraplegie (komplette Querschnittlähmung ab dem 8. Brustwirbel)

Botschafterin 2:

Name: Dorothee Liebing
Alter: 58 Jahre
Behinderungsart: Gehbehindert, für meine Mobilität bin ich auf einen Rollstuhl angewiesen

Was ist Ihr Tätigkeitsgebiet/-feld beim LSK?

Kerstin: Seit einigen Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Barrierefreiheit. Dies beinhaltet die Begleitung größerer Bauprojekte, aber auch bei Umbauten im Bestand bringe ich mich ein. Des Weiteren ist Sport ein großes Thema, denn Sport kann Brücken bauen – auch zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. So habe ich mich stark dafür engagiert, dass im Rehabilitationsklinikum Ulm ein Handbike für Patienten:innen zum Training angeschafft wurde. Sport ist essenziell nach dem Eintritt einer Behinderung, damit können Betroffene die eigene Fitness und damit die Lebensqualität verbessern, Spaß am Sport finden und somit Lebensfreude gewinnen.

Dorothee: Mein Tätigkeitsfeld beim LSK ist es im Moment, mir ein Netzwerk innerhalb der Stadt und des Landkreises Karlsruhe zu schaffen, mich bekannt zu machen und zu zeigen, dass ich als Botschafterin Barrierefreiheit ansprechbar bin.

Welche Projekte begleiten Sie oder haben Sie begleitet?

Eine sportliche Frau im Rollstuhl sitzend. Sie trägt ein Sporttrikot und ist gebräunt. Sie lächelt.
Botschafterin Kerstin Abele

Kerstin: In den vergangenen Jahren habe ich einige Projekte begleitet, unter anderem den barrierefreien Umbau des Limesmuseums in Aalen. Seit ca. zwei Jahren ist ein Großprojekt die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung und die Einhaltung der DIN-Normen beim Neubau eines Kombibades in Aalen. Aber auch in meiner Heimatgemeinde Hüttlingen bin ich aktiv. Alle Bemühungen, das Rathaus in der Gemeinde durch einen Aufzug barrierefrei zu machen, schlugen bislang leider fehl.

Außerdem sind mir regelmäßige Schulbesuche in Regelschulen zum Abbau von Hemmschwellen und Berührungsängsten ein großes Anliegen. Die Schüler:innen sind sehr offen für das Thema, und durch die Begegnung und ein offenes Gespräch können viele Vorurteile ausgeräumt und Empathie für die besonderen Lebensumstände von Menschen mit einem Handicap geschaffen werden.

Dorothee: Ich begleite derzeit ein Projekt der EnBW Baden-Württemberg zum Thema Barrierefreiheit der Ladeinfrastruktur für E-Mobilität. Bisher ist das ein dunkles Kapitel, es fehlen übergreifende Bauvorschriften, und im Moment machen alle, wie sie denken. Mobilitätseingeschränkte Autofahrer:innen werden dabei vergessen. Die EnBW arbeitet jedoch daran.

Wie genau gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?

Kerstin: Ich versuche, die bevorstehenden Aufgaben zeitnah anzupacken, suche Gespräche mit Entscheidungsträgern und Gremien. Oft ist es notwendig, vor Ort Termine zu vereinbaren, um Entscheidungsträgern die Situation aus der Sicht eines Menschen mit Handicap und die damit verbundenen Schwierigkeiten anschaulich darzustellen. Da ich immer ein bis zwei Rollstühle im Auto habe, besteht die Möglichkeit, „Fußgängern:innen“ die Schwierigkeiten selbst „erfahren“ zu lassen.

Dorothee: Ich habe die örtliche Tageszeitung BNN angesprochen. Es kamen drei Artikel zu dem Thema aus jeweils leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Dadurch hat sich ein Kontakt zur EnBW ergeben und zu einem Bachelorstudenten, der seine Abschlussarbeit darüber schreibt. Ich bin dabei als Expertin in eigener Sache eingebunden.

Wie wird Ihre Arbeit angenommen?

Kerstin: Es ist ein (jahre-)langer Prozess, um als Experte:in in eigener Sache wahr- und ernst genommen zu werden. Strukturen, zum Beispiel in Stadtverwaltungen, haben sich über viele Jahre bzw. Jahrzehnte gefestigt und können nicht so leicht durchbrochen werden.

In den letzten ein bis zwei Jahren ist allerdings ein Umdenken (zumindest bei der Stadt Aalen) zu bemerken. Es wird erkannt, dass eine frühzeitige Einbindung in Bauvorhaben keine zusätzlichen Kosten in Sachen Barrierefreiheit verursacht, sondern Kosten spart! Barrierefreiheit ist nicht teurer, wenn sie gut geplant und umgesetzt wird. Mehrkosten entstehen nur bei schlechter Planung und Ausführung, beispielsweise wenn ein behindertengerechtes WC zu hoch oder zu niedrig angebracht wird oder ein behindertengerechter Parkplatz mit Rasengittersteinen belegt wird. In beiden Fällen hätte man im Vorfeld bei rechtzeitiger Einbindung das Malheur verhindern können.

eine Frau sitzt in einem Bus in einem Rollstuhl
Botschafterin Dorothee Liebing

Dorothee: Nach den Artikeln habe ich einige Rückmeldungen von Betroffenen erhalten, die mich und meine Arbeit in der Zeitung gesehen haben. Es waren, mit einer Ausnahme, durchweg positive Reaktionen.

Die EnBW hat meinen Vorstoß dankbar aufgenommen. Durch die Zeitungsartikel kam ein Kontakt zustande, und ich werde zur Beurteilung von Ladekonzepten angefragt.

Was bedeutet Ihnen die Arbeit als Botschafter*in Barrierefreiheit?

Kerstin: Die Arbeit als Botschafterin ist interessant und bereitet mir Freude – ich setze mich gerne für die Inklusion und ein gutes Miteinander in der Gesellschaft ein. Aber es kostet auch immer wieder viel physische und psychische Kraft, sich mit Widerständen auseinanderzusetzen und die verschiedenen, teils umfangreichen Termine vorzubereiten und wahrzunehmen.

Dorothee: Ich möchte, dass wir, die wir durch unsere Einschränkungen auffallen, zu einem selbstverständlichen Straßenbild gehören und man mir im Rollstuhl und mit meiner Behinderung auf Augenhöhe begegnet, und nicht mit Mitleid. Ich glaube, dass das auf lange Sicht nur funktioniert, wenn wir rausgehen, uns zeigen, mitmischen und laut und anwesend sind. Das ist für mich der Inhalt meiner Arbeit als Botschafterin Barrierefreiheit.

Mehr zu den Botschaftern und dem LSK finden Sie auf
https://www.lsk-bw.de/ oder
http://barrierefreiheit.lsk-bw.de/

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