Er ist gerade mal sechs Jahre jung, als er erblindet. Ein Gendefekt, entdeckt bei einer Routineuntersuchung. Als junger Erwachsener sieht Ben die Erkrankung in jungen Jahren als Vorteil, da ihm in diesem Alter die Tragweite der Erblindung nicht bewusst war. Für seine Eltern blieb zum Zeitpunkt der Diagnose nur der Weg nach vorne.
Sport als Weg in ein neues Leben
Da die Neumanns schon immer sportverbunden waren, wurde mit Kreativität und Enthusiasmus alles ermöglicht, um Ben die Zukunft so barrierefrei wie möglich zu gestalten. Beim Skifahren fing alles an: Mithilfe eines Funkgeräts lotste ihn sein Vater durch Kurven als auch Abfahrten und signalisierte natürlich Ausweichmanöver bei Hindernissen. Ben sagt von sich selbst, dass der Sport für ihn einen therapeutischen Nutzen hat.
Leidenschaft Para-Surfen
Ben ist mittlerweile bekannt wie ein bunter Hund, und das über die Landesgrenzen hinaus. Seit drei Jahren ist er Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft im Para-Surfen und mehrfacher Teilnehmer bei den Weltmeisterschaften im Para-Surfen. Der Surfsport findet in Deutschland immer größeren Zuspruch, auch wenn es hier kaum natürliche Möglichkeiten wie das Meer gibt, sondern sich auf Flusswellen oder eine künstliche Indoorwelle beschränkt. Ben ist mit der berühmten Eisbachwelle in München groß geworden und vielleicht auch daran gewachsen.
Blind auf die Eisbachwelle München
Diese Welle surft man nicht einfach mal so. Und wer vor Ort als Unbekannte:r auftaucht, wird erst mal kritisch beäugt, muss sich hinten anstellen. Für diesen Fall gibts nur sehr früh morgens oder im Dunkeln mit selbst mitgebrachten Scheinwerfern … Grundsätzlich ist Surfen nichts für schwache Nerven. Mit seinen 18 Jahren hat er sich von diesen Barrieren nicht abhalten lassen – auf der Eisbachwelle zählt er mittlerweile zu den besten Surfenden am Eisbach und muss sich und anderen gar nichts mehr beweisen.
Medial schon sehr bekannt
Der junge Surfer ist in den sozialen Netzwerken kein Unbekannter. Abgesehen von seiner verdienten Bronzemedaille 2021 auf dem Weltmeistertreppchen hat er in diversen Magazinen Rede und Antwort gestanden, schon des Öfteren als Motivationsredner gastiert, war in verschiedenen TV-Formaten und sogar Protagonist in einem Kurzfilm – natürlich zum Thema Surfen.
Wie sich schon erahnen lässt, hat Ben immer was um die Ohren. Aktuell steckt er mitten in der Lern- bzw. Klausurphase für sein Abitur. Entsprechend froh sind wir, dass er dennoch seine Zeit mit uns geteilt hat!
Ben Neumann im Interview
BF: Lieber Ben, erzähl uns bitte, wie du die Welt siehst.
BN: Ich sehe die Welt durch die mir verbliebenen Sinne. Auch wenn man mal gesehen hat, verblassen alle visuellen Eindrücke und Erinnerungen relativ schnell. Sogar in meinen Träumen erlebe ich alles ohne „Bild“.
BF: Hast du Hilfsmittel im Alltag? Blindenstock, Armbinde, Assistenzhund?
BN: Ich habe einen Assistenzhund. Der wurde allerdings nie als Blindenführhund ausgebildet, da das für Kinder in Deutschland nicht vorgesehen ist. Mein Hund ist trotzdem mein treuester Begleiter und gut für die Seele. Wie die meisten Blinden verwende ich einen Blindenstock, und meine Sportkleidung ist mit dem Symbol des „Blinden-Männchens“ gekennzeichnet. Beim Surfen oder Skifahren realisieren jedoch trotz Kennzeichnung die meisten Menschen nicht, dass ich blind bin. Ich denke, es ist für viele schwer vorstellbar, dass man diese Sportarten als Blinder überhaupt ausüben kann. Ich habe auch eine Armbinde, die verwende ich allerdings so gut wie nie.
BF: Wer hat dir das Surfen beigebracht, und erinnerst du dich an deine erste Welle?
BN: Zu meinem 13. Geburtstag habe ich von meinen Eltern einen Surfkurs für eine stehende Indoorwelle geschenkt bekommen. Das war sozusagen meine erste Welle. Am Ende des Kurses war ich der Einzige, der noch die Kraft, Balance und Ausdauer hatte, schon etwas hin und her zu „surfen“. Es gibt ein Foto von mir, auf dem zu sehen ist, wie mich mein Vater im Alter von vier oder fünf Jahren auf einem Bodyboard in die Welle schiebt. Das war wohl meine erste offizielle Meereswelle, daran kann ich mich jedoch nicht mehr erinnern.
BF: Wie surfst du, ohne die Wellen zu sehen?
BN: Bei stehenden Wellen, wie zum Beispiel dem Eisbach, brauche ich eigentlich nur Coaching beziehungsweise Informationen, wo ich mich genau anstellen muss und wann ich an der Reihe bin. Dies machen wir seit einiger Zeit auch der Einfachheit halber über Funk. Auf der Welle orientiere ich mich dann anhand des Feedbacks, das mir mein Surfbrett gibt. Zusätzlich an Geräuschen, und oft strecke ich auch meine hintere Hand ins Wasser, um die Welle zu fühlen.
Am Meer brauche ich immer einen Guide, der mit mir rauspaddelt, mich also an die richtige Stelle bringt und mir dann die richtige Welle aussucht. Zusätzlich brauche ich die Information, ob es eine rechts- oder linksbrechende Welle ist, und idealerweise auch, ob es eine flache oder steilere Welle ist. Dann kriege ich das Kommando zum Lospaddeln und werde auf die Welle eingezählt, drei, zwei, eins … Go! Auf der Welle selbst bin ich dann wieder auf mich gestellt, da mein Guide mich nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr sehen kann und die Kommandos beziehungsweise deren Umsetzung auch immer etwas zu spät dran wären.
BF: Können alle Blinden Surfen lernen?
BN: Ja, ich denke schon, dass alle Blinden Surfen lernen können. Entscheidend ist, dass ihm:ihr der:die richtige Teampartner:in beiseitesteht. Hier kommt es vor allem auf Vertrauen an. Gemeinsam muss man sich jeden Fortschritt hart erarbeiten. Am Ende gilt das alte Sprichwort: Übung macht den:die Meister:in.
BF: Hast du Vorbilder in der Surfszene?
BN: Natürlich verfolge ich den Pro Circus ein wenig. Als Blinder macht das jedoch nur eingeschränkt Spaß. Ich kann mir ja nichts abschauen. Somit habe ich eigentlich auch keine Vorbilder. Als ehrgeiziger Sportler messe ich mich gerne mit anderen Blinden Surfern. Vor allem in den klassischen Surfnationen gibt es starke Konkurrenten. Wir alle hoffen, dass unsere Sportart 2028 in Los Angeles bei den Paralympics an den Start gehen darf.
BF: Wie bereitest du dich auf Wettkämpfe in unbekannten Gewässern vor?
BN: Zusammen mit meinem Guide versuche ich, über das Internet, zum Beispiel auch über YouTube-Videos, so viele Informationen über einen Wettkampfort/eine Welle zu besorgen wie möglich. Vor Ort machen wir dann – wie alle anderen Surfenden auch – einen sogenannten Spot Check. Hier beschreibt mein Guide mir alles so detailliert wie möglich: Uferlinie, Uferbeschaffenheit, Wellenhöhe, Wellencharakteristik, Windrichtung, Line-up, Anzahl der Surfende im Wasser usw. Auch hier ist Teamwork das oberste Gebot.
BF: Was hast du vor, wenn du das Abi in der Tasche hast?
BN: Da durch die Abivorbereitung viele Dinge für einige Monate zu kurz gekommen sind, habe ich hier erst mal etwas Nachholbedarf. Hierbei geht es natürlich vor allem um Surftraining, aber auch Schlagzeug spielen, etliche Bücher „hören“, und dann zeitgleich abklären, welches Studium für meine Zukunft am sinnvollsten ist. Eigentlich würde ich gerne etwas Technisches studieren. Das ist für Blinde jedoch sehr schwer und vermutlich auch nicht wirklich zielführend. Am Ende wäre wahrscheinlich eine Geisteswissenschaft sinnvoller. Ich bin schon gespannt, wohin mich die Wellen des Lebens tragen werden.
BF: DANKE für deine Zeit!