StartLebenswegeWas macht eigentlich...Alessandro Zanardi

Was macht eigentlich…Alessandro Zanardi

Wir hatten Ihnen Alex Zanardi vor ein paar Jahren, genauer gesagt in unserer Dezember-Ausgabe 2014, vorgestellt. Nach so langer Zeit fragt man sich, was er eigentlich heute macht: Leidenschaftlich Rennen fahren – was sonst!

Alessandro Zanardi hat seinen viel beachteten Gaststart am DTM-Wochenende in Misano (25. & 26. August) beim Nachtrennen mit Bravour absolviert. Im Rennen am Sonntag belegte er einen sensationellen fünften Platz. Zanardi tritt bereits seit 2003 erfolgreich mit BMW-Rennwagen an, doch in Misano gab es für ihn eine Premiere: Zum ersten Mal bestritt er ohne Beinprothesen ein Rennen. Die BMW M Motorsport-Ingenieure haben im Vorfeld ein System für den BMW M4 DTM entwickelt, das es Zanardi ermöglichte, mit der Hand zu bremsen.

Im Interview (mit den Kollegen von BMW-Motorsport) blickt er auf dieses ganz spezielle Wochenende zurück, beschreibt, wie er die BMW Familie, das DTM-Fahrerlager und seine begeisterten Fans erlebt hat – und gibt einen Ausblick auf seinen geplanten Start bei den 24 Stunden von Daytona im Januar 2019.

ALESSANDRO, BESCHREIBEN SIE IHREN DTM-GASTSTART BITTE IN DREI WORTEN.

ALESSANDRO ZANARDI: „Prickelnd, aufregend, emotional. Ich verlasse Misano mit einem breiten Lächeln auf meinem Gesicht.“

WAS WAR IHR ERSTER GEDANKE, ALS SIE AM SONNTAG IN IHREM ZWEITEN DTM-RENNEN ALS FÜNFTER INS ZIEL KAMEN?

ZANARDI: „Ich dachte erst, es wäre ein Scherz, als mir mein Ingenieur über Funk meine Platzierung durchgesagt hat. Das hatte ich nicht erwartet, und es ist auch zu viel, wenn man meine Performance neutral beurteilt. Ich war nach meinen Testfahrten sehr optimistisch, fürchtete aber nach der ersten Session, in der ich mit Abstand Letzter war, dass es mein Schicksal an diesem Wochenende sein würde, weit hinterherzufahren. Das Problem war, dass ich aufgrund der ständig wechselnden äußeren Bedingungen nicht in der Lage war, kontinuierlich von Session zu Session auf meinen Erfahrungen aufzubauen. Denn jedes Mal, wenn ich auf die Strecke ging, war alles anders als zuvor. Vor diesem Hintergrund ist der fünfte Platz, noch dazu mit guten und konkurrenzfähigen Rundenzeiten, natürlich fantastisch. Er fühlt sich an wie eine Goldmedaille.“

WAS HABEN SIE AM MEISTEN GENOSSEN?

ZANARDI: „Die gemeinsame Zeit mit all den Leuten, die mir geholfen haben, dieses Wochenende in Misano möglich zu machen und durchzuziehen.“

WAS WAR DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG?

ZANARDI: „Den BMW M4 DTM auf der Strecke zu halten (lacht). Aber ich habe es hinbekommen. Ich habe in meiner Karriere viele Rennen gewonnen und denke, dass ich auch heute noch die Fähigkeiten habe, ein Fahrzeug wie den BMW M4 DTM am Limit zu bewegen. Aber im Vergleich zu den anderen Fahrern hat mir einfach die spezifische DTM-Erfahrung gefehlt.“

WIE SIND SIE IN DIE BMW- UND IN DIE DTM-FAMILIE AUFGENOMMEN WORDEN?

ZANARDI: „Die DTM-Familie hat mich sehr gut aufgenommen, und ich habe mich in Misano sehr willkommen gefühlt. Dafür vielen Dank! Was meine BMW Familie und speziell mein Team angeht: Sie haben mir das Gefühl gegeben – und ich konnte es auch in ihren Augen sehen – dass sie sich mit ihrer Aufgabe sehr wohl gefühlt haben und dass ich genau der Mann war, den sie gerne in ihrem Fahrzeug haben wollten. Das Ziel dabei war nicht, das Rennen zu gewinnen. Es ging darum, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten das Beste aus dem Fahrzeug herausholen kann. Mit diesem Ziel haben sich alle im Team identifiziert – das war für mich unbezahlbar. Dieses Gefühl werde ich für immer in meinem Herzen tragen. Das Wochenende war absolut einzigartig.“

AUCH DIE ITALIENISCHEN FANS HABEN SIE BEGEISTERT EMPFANGEN.

ZANARDI: „Sagen wir es mal so: Ich glaube, ich war in meinem Leben der Protagonist von so manch romantischer Geschichte, die letztlich das Happy-End hatte, auf das die Leute gehofft hatten. Ich habe ein paar Dinge geschafft, die man mir körperlich vielleicht nicht zutrauen konnte. An einem Tag wie diesem steht man dann abends vor dem Spiegel und ruft sich alles in Erinnerung, was man in den vielen Jahren erlebt hat. Es ist magisch zu wissen, dass sich so viele Menschen mit dem, was ich tue, derart identifizieren. Das macht mich unglaublich stolz.“

BEI ALLEN ONBOARD-AUFNAHMEN WAR BEEINDRUCKEND ZU SEHEN, WIE VIELE DINGE SIE GLEICHZEITIG MIT IHREN HÄNDEN GEMACHT HABEN.

ZANARDI: „Stimmt, das war schon ziemlich akrobatisch (lacht). Aber ich habe ja nun einmal keine andere Möglichkeit, von daher habe ich mich schnell darauf eingestellt. Wenn man sich erst einmal auf die Aufgabe eingelassen hat, sind manche Sachen gar nicht mehr so schwierig, wie man am Anfang gedacht hat. Ich habe intensiv mit den Ingenieuren in München an der bestmöglichen Lösung für mich getüftelt, und ich denke, wir haben ein hervorragendes System gefunden. Wir haben damit einen riesigen Schritt nach vorn gemacht und eine ausgezeichnete Basis für meinen geplanten Start bei den 24 Stunden von Daytona 2019. Ich glaube, wenn es eine Herausforderung gäbe, 24 Stunden am Stück zu fahren, ich könnte das mit diesem System rein physisch tun. Ich wäre danach sicher nicht mehr taufrisch, aber gehen würde es (lacht). Vielen Dank an alle Beteiligten für ihre Neugier und ihren Ehrgeiz, aus mir einen noch besseren Rennfahrer zu machen. Ich kann es kaum erwarten, die Vorbereitung auf Daytona fortzusetzen.“

ALESSANDRO ZANARDI IST AUCH IN SACHEN SICHERHEIT GERÜSTET

Für Zanardi ist es auch aus Sicherheitsaspekten kein Handicap, ohne Beinprothesen zu fahren. Das Reglement gibt genau vor, wie schnell ein Fahrer im Falle eines Unfalls aus dem Auto herauskommen muss. „Alle DTM-Fahrer müssen ihr Fahrzeug im Falle eines Unfalls eigenständig in sieben Sekunden auf der Fahrerseite und in neun Sekunden auf der Beifahrerseite verlassen können“, erläutert Christian Schmidt, Technischer Delegierter der DTM. „Damit soll sichergestellt werden, dass zum Beispiel bei einem Feuer an Bord nicht auf externe Hilfe gewartet werden muss.“

Für den offiziellen Eignungstest trainierte Zanardi mehrfach – dabei blieb er deutlich unter der Zeitvorgabe. Für das Aussteigen aus dem BMW M4 DTM benötigt er – mit Helm und HANS-System – rund viereinhalb Sekunden. „Über diesen Test habe ich mir keine Sorgen gemacht“, bestätigt Zanardi. „Mir war von Beginn an klar, dass ich das locker schaffen würde. Es gibt in einem DTM-Cockpit ausreichend Stellen, an denen ich mich herausziehen kann.“ Die Tatsache, dass er keine Beinprothesen trägt, ist für ihn dabei sogar von Vorteil: „Auf jeden Fall bin ich ohne meine Beinprothesen deutlich schneller als mit. Denn mit den Prothesen wäre die Gefahr größer, irgendwo hängen zu bleiben.“

Im Vorfeld:

„Ohne Prothesen bin ich wesentlich agiler“

ALEX, WARUM IST ES FÜR SIE KOMFORTABLER, OHNE PROTHESEN ZU FAHREN?

ALESSANDRO ZANARDI: „Der Grund liegt in der technischen Funktionsweise der Prothesen-Schäfte. Sie sitzen dank einer Art Vakuumeffekt fest, und das lässt natürlich keinerlei Transpiration zu. Aber die Gliedmaßen sind die ‚Kühlung’ unseres Körpers. Durch die Blutzirkulation durch unsere Extremitäten wird unsere Körpertemperatur gesenkt – mit Prothesen bin ich also praktisch wie ein Motor ohne Kühlung. Das hilft nicht gerade, wenn man im Cockpit eines Rennwagens sitzt, wo die Temperaturen oft über eine erträgliche Grenze steigen. Als wir uns Gedanken zum Projekt Daytona 2019 gemacht haben, sagte ich den Ingenieuren, dass dies die wesentliche Änderung sei, die wir probieren sollten. Und als ich das Angebot bekam, in Misano DTM zu fahren, hatten wir bereits genügend Vorarbeit geleistet und solche Fortschritte gemacht, dass ich denke, dass mir das Fahren ohne Prothesen potenziell auch in Bezug auf die Performance helfen könnte. Die Vorteile, die es mir körperlich bringt, werden mit jeder Runde größer. Man kann sich den Unterschied nicht vorstellen. Deshalb bin ich sicher, dass es auch für die beiden einstündigen Rennen mit dem BMW M4 DTM in Misano die bessere Option ist.“

BISHER SIND SIE WIE JEDER ANDERE FAHRER ZUM AUTO GELAUFEN UND EINGESTIEGEN. WIE WERDEN SIE OHNE BEINPROTHESEN INS AUTO KOMMEN?

ZANARDI: „Das Einsteigen ins Auto ist überhaupt kein Problem – ganz im Gegenteil, da ich beim Ein- und Aussteigen ohne Prothesen wesentlich agiler bin als mit. Es ist zehnmal einfacher für mich. Meine Beinprothesen dienen nur als eine Art Stütze, sonst für nichts. Ich muss sie über die Kraft meiner Arme ins Auto ziehen, und brauche die Arme, um das Gewicht meines Körpers hochzuziehen. Ohne Prothesen behindert mich also nichts in der Bewegung, und ich muss auch weniger Gewicht heben. Von daher bin ich wesentlich agiler. Der Plan ist, dass ich mit meinem Rollstuhl zum Auto fahre und dann ins Cockpit einsteige. Dasselbe dann beim Aussteigen. Und für den Fall, dass ich auf der Strecke stehenbleibe und schnell aus dem Auto muss: Das sieht vielleicht für Beobachter nicht so schön aus, aber ich versichere Ihnen, dass ich auf Gras oder Kies auf meinen Armen ohnehin schneller laufen kann als auf meinen künstlichen Beinen.“

DA SIE OHNE PROTHESEN AGILER SIND, MÜSSTE DIE BERGUNG IM FALLE EINES UNFALLS SOGAR NOCH EINFACHER SEIN ALS BISHER?

ZANARDI: „Genau. Von daher war das noch nie ein Grund für Bedenken. Nicht für mich und auch nicht für die Leute, die mich seit Langem kennen.“

STELLEN WIR UNS DEN FALL VOR, DASS SIE MIT DEM AUTO IM KIESBETT FESTSTECKEN: STEIGEN SIE DANN EINFACH AUS UND LAUFEN AUF IHREN ARMEN VOM AUTO WEG?

ZANARDI: „Ja. Wie ich schon sagte, sieht es nicht unbedingt großartig aus, wenn jemand so läuft. Aber Tatsache ist, dass es für mich ohne Prothesen einfacher wäre, mich vom Auto fortzubewegen, als mit – vor allem im Kies. Ich habe diese Erfahrung bereits gemacht. Es ist mir zwar irgendwie gelungen, mit Prothesen und ohne meine Stöcke durch das Kiesbett zu laufen, aber es war nicht einfach. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen Fuß falsch aufsetze und stürze, ist größer. Zwar wäre so ein Sturz nicht gefährlich für mich – ich habe viel Erfahrung im ‚Fallen’ – aber natürlich wäre ich in meiner Bewegung vom Auto weg langsamer. Von daher ist es auch von diesem Gesichtspunkt aus die bessere Option. Das bedeutet nicht, dass es unsicher wäre, sollte ich jemals entscheiden, wieder mit Prothesen zu fahren. Es ist klar, dass wir uns über alle Aspekte im Detail Gedanken gemacht haben, denn wir wollten in Sachen Sicherheit kein Risiko eingehen – weder für mich, noch für BMW oder für andere. Wenn man etwas auf einem so hohen Niveau macht, muss man einfach das Thema Sicherheit ganz genau beleuchten. Und wir würden diese neuen Abenteuer nicht angehen, wenn wir nicht das Gefühl hätten, dass wir in diesem Bereich alle Aspekte abgedeckt haben.“

WIR VON BARRIEREFREI WÜNSCHEN ALEX ZANARDI AUCH IN ZUKUNFT MAXIMALEN SPASS UND ERFOLG!

Text: BMW Group / BMW Motorsport

Grafiken: www.freepic.com

Fotos: Martin Hirmer/hangenfoto, Andreas Beli, Alexander Trienitz/BMW, BMW Group / BMW Motorsport

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