Wenn man durch Krankheit oder Unfall mit dem Verlust von Gliedmaßen konfrontiert wurde, liegt der Fokus relativ schnell wieder darauf, wie man zeitnah erneut mobil werden kann. Das Gehen oder Greifen wird in der Regel durch Krankenhaus, Physiotherapie und/oder Reha in Gang gebracht. Aber wie sieht es mit dem Auto aus?
Die Suche nach der einen richtigen Antwort
Ohne Hinweise dauert es als betroffene:r Autofahrer:in verhältnismäßig lange, bis man auf hilfreiche Infos stößt. Wer suchet, der findet, denkt man und durchforstet das Internet nach einer Antwort. Kann ich mit Prothese wieder Auto fahren? Muss ich das irgendwo melden?
Viele Faktoren spielen für die Fahrtauglichkeit eine Rolle
Die Mobilität nach einer Amputation ist in den meisten Fällen möglich, aber von mehreren Faktoren abhängig:
• technische
• medizinische
• sozialrechtliche und
• verkehrsrechtliche
Die wichtigsten Voraussetzungen sind jedoch ein vollständig und sehr gut verheilter Stumpf und ein optimaler Sitz der Prothese.
Und ein wesentliches Fazit vorweg statt am Ende: Bei einer Beurteilung spielt auch das Bundesland eine tragende Rolle!
Der (theoretische) Ablauf
- Wahl einer zertifizierten Fahrschule für Menschen mit Behinderungen.
- Nach einem beratenden Gespräch übergeben Sie in Kopie Ihren Arztbericht. Die Fahrschule kümmert sich dann um eine:n Gutachtende:n (meist über die DEKRA). Diese:r wiederum setzt sich mit dem:der Antragstellenden in Verbindung, um ein vorläufiges Gutachten zu erstellen.
- Eine Kopie des vorläufigen Gutachtens senden Sie dann an die gewählte Fahrschule, damit diese weiß, wie das Schulungsfahrzeug umgebaut werden muss.
- Mit dem vorläufigen Gutachten gehen Sie zur Führerscheinbehörde (ggf. reicht hier auch der Arztbericht) und beantragen den Führerschein mit den entsprechenden Schlüsselzahlen für den Fahrzeugumbau.
- Sie vereinbaren mit einem:einer geschulten Fahrlehrenden Termine für Übungsfahrten in dem umgebauten Fahrschulfahrzeug.
- Nach entsprechenden Fahrstunden folgt ein Termin zur Begutachtungsfahrt mit dem:der entsprechenden Gutachtenden.
- Nach Erhalt des Protokolls von dem:der Gutachtenden können Sie nun zur Behörde gehen, um die entsprechenden Schlüsselzahlen eintragen zu lassen.
Antworten auf einige Fragen
Bei unseren Recherchen sind wir auf ein Dokument gestoßen, das unserer Meinung nach sehr hilfreich ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit viele Antworten auf Fragen bietet. Das Schriftstück wurde durch das BG Klinikum Hamburg herausgegeben und stammt aus der Feder des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. Chr. Jürgens:
https://www.bmab.de/wp-content/uploads/2016/11/PiK-2016-Fahreignung-%C3%A4rztliche-Begutachtung-Dr.-Neikes.pdf
„Ach, das habe ich schon immer so gemacht!“
Halbwissen ist gefährlich. Hartnäckig hält sich beispielsweise das Gerücht, dass man mit einer LINKSSEITIGEN Beinamputation einfach Automatik fährt oder bei RECHTSSEITIGER Beinamputation mit links über Kreuz Gas gibt. Von betroffenen Autofahrenden schon oft zum Besten gegeben: „Ich mach das schon immer so, hat noch nie einer was gesagt.“ Damit begibt man sich tatsächlich in gefährliches Fahrwasser, denn in der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) steht: „Fährt man nach Eintreten einer relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne entsprechende Genehmigung der Führerscheinstelle und verschuldet einen Unfall, liegt eine grob fahrlässige Handlung mit u. U. erheblichen versicherungsrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen vor.“
Weiter findet man auf der Website https://www.bussgeldkatalog.org/fev/ folgenden Paragrafen:
§ 2 FeV: Eingeschränkte Zulassung
„Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge, namentlich durch das Anbringen geeigneter Einrichtungen an Fahrzeugen, durch den Ersatz fehlender Gliedmaßen mittels künstlicher Glieder, durch Begleitung oder durch das Tragen von Abzeichen oder Kennzeichen, obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen.“
Und da Unwissenheit selten vor Strafe schützt, wird der Verstoß gegen diese Vorschriften und Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung mit 25 Euro geahndet.
Regelungen der Bundesanstalt für Straßenwesen
Die BASt – Bundesanstalt für Straßenwesen – hat ebenfalls Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung herausgegeben. Diese Begutachtungsleitlinien sollen die Begutachtung der Kraftfahreignung im Einzelfall erleichtern. Sie stellen eine Zusammenstellung von physischen und/oder geistigen Defiziten dar, die die Eignung für die Fahrzeugführung entweder ausschließen oder einschränken können.
Gutachten für die Fahrtauglichkeit
Der:die begutachtende Arzt:in muss selbstverständlich ein:e anerkannte:r Gutachtende:r sein. In diesem Begutachtungsprozess erfolgen eine Einschätzung der Eignung und eine Bewertung, inwieweit sich gesundheitliche und/oder funktionelle Beeinträchtigungen auf die Fahreignung auswirken. Der:die begutachtende Arzt:in beurteilt jedoch nicht die technischen Details.
Unwissenheit von Sachbearbeitenden kann teuer werden
Beim Neuerwerb eines Führerscheins liegen die Kosten für ein Gutachten zwischen 100 und 1500 Euro, und diese müssen in der Regel selbst bezahlt werden. Um den nahtlosen Umtausch des Führerscheins von der alten auf die neue Version zu gewährleisten, sollte die erforderliche Schlüsselzahl bereits im Vorfeld bereitgehalten werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Übernahme des Führerscheins nicht allein von der guten Absicht des Sachbearbeiters abhängt, insbesondere wenn der gesamte vorherige Ablauf bereits durchlaufen wurde. Weiß dieser nicht Bescheid und ist nicht bewandert, bekommt man schnell die Pflicht eines erneuten Gutachtens aufgebürdet. Das ist unfair, unnötig und teuer!
Unter folgendem Link finden Sie die Schlüsselnummern, die in Ihren Führerschein eingetragen werden, und deren Bedeutung: https://www.bussgeldkatalog.org/schluesselzahlen-fuehrerschein/#wie_sie_schluesselzahlen_in_fuehrerschein_und_fahrzeugschein_richtig_interpretieren
Wir wünschen viel Erfolg!