Ich und meine Fatigue

Ein Erfahrungsbericht mit Tipps zum Umgang mit Fatique

Seit bei mir im Jahr 2000 Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, hat sich in der Forschung und Behandlung der MS viel getan. Aber auch bei der Erkennung vieler Symptome, auch der nicht sichtbaren, wurde viel geforscht.

Eine bleierne Müdigkeit trat plötzlich ein

In den ersten vier Jahren meiner „MS-Karriere“ haben die Schübe überwogen, die zum Glück in der ersten Zeit fast vollständig zurückgingen. Allerdings entwickelte sich nach vier bis fünf Jahren eine oft plötzlich eintretende bleierne Müdigkeit, die ich mir damals nicht erklären konnte. Oft habe ich mich gefragt: „Warum bist du so müde? Du hast heute Nacht doch gut und lange geschlafen und heute noch gar nicht viel gemacht.“ Trotzdem musste ich mich immer wieder kurz aufs Sofa legen, damit ich mein Tagespensum schaffen konnte. Es machte mich wütend, dass ich nicht mehr so leistungsfähig und oft antriebslos war. Dabei bin ich bestimmt nicht faul. Aber warum überraschte mich diese plötzliche Müdigkeit?

Eine Frau steht mit geschlossenen Augen mit einem Schlafanzug in einem Raum und hält ein Kopfkissen unter dem Arm

Ein Neurologe klärte mich über Fatigue auf

In einem Gespräch mit meinem Neurologen fiel dann das Wort „Fatigue“. Fatigue – damit konnte ich etwas anfangen, denn die Übersetzung fiel mir nicht schwer. Fatigue bedeutet Müdigkeit oder Erschöpfung. Okay …, aber woher kam diese Erschöpfung? Von der MS?

Nachdem mich mein Neurologe ausführlich informiert und ich auch noch einiges dazu gelesen hatte, beschloss ich, noch mehr auf meinen Körper zu hören. Ich beobachtete, wann, wo und wie die Fatigue auftrat und machte mir Notizen. Ich versuchte, meinen Tag mehr zu strukturieren, allerdings ist mir das mit Familie und zwei damals kleinen Kindern nicht wirklich gelungen. Es gab sehr oft Situationen, in denen mein Plan über den Haufen geworfen wurde. Was ich aber fast immer einbauen konnte, war ein Power-Napping (Mittagsschläfchen) nach dem Mittagessen. Eine halbe Stunde reichte dann meist für den Nachmittag.

Bewegung & Entspannung hilft

Ich versuche jetzt, immer genügend zu trinken und auch jeden Tag an die frische Luft zu gehen. Einmal in der Woche gehe ich zum Rehasport. Auch verschiedene Entspannungstechniken habe ich ausprobiert, zum Beispiel progressive Muskelentspannung, Yoga und autogenes Training. Mir persönlich hilft dabei am besten das autogene Training, denn mittlerweile kann ich mich je nach Bedarf auch mal nur fünf Minuten in eine Ecke setzten und mithilfe des autogenen Trainings meinen Energiespeicher etwas auffüllen.

Eine Sport-Matte und ein großer Gummiball (Petziball) in einem Raum.

Wenn ich weiß, dass ich an bestimmten Terminen kaum Entspannungsphasen haben werde, dann versuche ich, am Tag davor und danach möglichst keine anstrengenden Aktivitäten einzuplanen. Man sollte sich auch überwinden, mehr um Hilfe zu bitten und durchaus mal „Fünfe“ grade sein zu lassen. Mir persönlich fällt das leider immer noch sehr schwer.

Wärme befeuert Fatigue

Da sich die Fatigue bei Wärme verstärkt, habe ich im heißen Sommer 2019 Kühltücher für mich entdeckt. Eigentlich für Sportler gedacht, nutzen sie die Verdunstungskälte und man kann damit zum Beispiel die Handgelenke oder den Nacken kühlen.

Fatique bleibt mein Begleiter

Mittlerweile benötige ich aufgrund neurologischer Ausfälle durch die MS seit 2014 Jahren einen Rollstuhl. Nachdem er gut auf mich eingestellt wurde und ich gelernt habe, damit energiesparend umzugehen, hat sich auch meine motorische Fatigue leicht gebessert. Mit dem Rollstuhl kann ich dann auch mal mit meiner Tochter shoppen gehen. Dennoch wird mich die Fatigue weiter begleiten und ich versuche, meinen Tag so weit wie möglich um sie herum zu organisieren.

Ich habe durch den Rehasport viele Freunde mit neurologischen, onkologischen, rheumatischen und anderweitigen chronischen Erkrankungen gefunden. Auch sie haben oft Probleme mit der Fatigue und versuchen, sie mit ähnlichen Methoden wie viele MS-Betroffene zu mildern. Die Fatigue ist also nicht nur ein typisches Symptom der Multiplen Sklerose. Außerdem darf man sie nicht mit dem Chronischen Fatigue Syndrom (CFS) verwechseln, dabei handelt es sich um eine eigenständige Autoimmunkrankheit.

Fakten über Fatique

Die wirkliche Ursache für die Fatigue ist bis heute nicht bekannt. Und dabei schätzt man, dass bis zu 80–90% aller MS-Betroffenen – mehr oder weniger – darunter leiden. Bei vielen Betroffenen leidet neben der Leistungsfähigkeit auch das soziale Leben, da die Fatigue für Außenstehende schwer zu erkennen und zu begreifen ist.

In den letzten Jahren wurden verschiedene Studien gemacht und Ansätze gesucht, um die Symptome der Fatigue zu erforschen und zu bewerten. Auch in bildgebenden Untersuchungen wurde nach Ursachen für die Fatigue geforscht.

Verschiede Arten der Fatique

Primäre Fatigue (auch Nervenfaser-Fatigue)
Die primäre Fatigue geht direkt von der MS aus. Durch die Nervenschädigung kommt es oft zu plötzlicher Müdigkeit, die nicht durch Schlaf ausgeglichen werden kann.

Sekundäre Fatigue
Fatigue, die durch andere Symptome der MS wie Schlaflosigkeit, Spastik oder auch durch die medikamentöse Behandlung entsteht. Sie tritt auch oft zusammen mit Angstzuständen und Depressionen auf.

Dabei differenziert man die Fatigue auch noch weiter in:
Motorische Fatigue
Ein Kennzeichen ist die plötzliche Ermüdbarkeit der Muskeln. Viele MS-Betroffene, die Gehprobleme haben, berichten darüber, wie plötzlich die Beine schlapp werden und nicht mehr weiter wollen. Selbst Routinebewegungen fallen plötzlich schwer und die Sturzgefahr steigt.

Kognitive Fatigue
Plötzlich kann man sich nicht mehr konzentrieren und macht unbewusst Fehler, während man geistig aktiv ist. Lesen und sogar Fernsehen können auf einmal zu anstrengend sein.

Dabei fällt auch noch auf, dass die Fatigue sich zum Abend hin verstärkt und auch bei Wärme stärker auftritt. Die Fatigue kann bisher nur symptomatisch behandelt werden.

Wie kann man der Fatigue begegnen?

  • Die Fatigue beobachten und gegebenenfalls ein Tagebuch führen
  • Mit dem Arzt gemeinsam andere medizinische Faktoren für die Fatigue ausschließen
  • Versuchen, kleine Pausen in den Alltag einzubauen
  • Hilfe von Familie und Freunden akzeptieren
  • Leichter Ausdauersport kann die Fatigue mildern (Wassergymnastik, Ergometertraining, Walking etc.).
  • Verschiedene Entspannungstechniken wie Yoga, progressive Muskelentspannung, autogenes Training ausprobieren
  • Ausreichend trinken. Zu wenig Flüssigkeit kann die Fatigue verstärken.
  • An heißen Tagen für Abkühlung sorgen, z.B. durch Kühlwesten, Kühltücher o.Ä.
  • Eine Rehamaßnahme beantragen. Dort kann man unter Anleitung vieles ausprobieren, was gegen Fatigue helfen kann. Auch psychologische Hilfe zur Bewältigung der Fatigue kann dort meist in Anspruch genommen werden.
  • Hilfsmittel wie Rollator oder Rollstuhl zur Entlastung nutzen und auch akzeptieren

Therapie

Es gibt bisher keine zugelassene medikamentöse Therapie zur Behandlung der Fatigue. In manchen Fällen könnten vielleicht Medikamente helfen, die für andere Krankheiten zugelassen sind (Off-Label-Use). Dabei sollten aber auf jeden Fall die Nebenwirkungen beachtet werden, auch in Bezug auf die MS. Zur Bewältigung der Fatigue muss jeder seinen eigenen Weg finden. Es gibt keine für jeden gültige Empfehlung. Denn genau so, wie die MS sich bei jedem Betroffenen anders äußert, so wird die Fatigue in unterschiedlicher Weise empfunden.

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