Was muss baulich verändert werden, damit jemand mit einer Querschnittslähmung nach einem Autounfall weiterhin im Obergeschoss wohnen kann?
… eine ganze Menge, wie sich nach einer Bestandsaufnahme herausstellte.
Seit einem Verkehrsunfall im Juli 2013 sitzt unser Klient aufgrund einer Querschnittslähmung nun dauerhaft im Rollstuhl. Schon im Krankenhaus bestand der Wunsch, es so schnell wie möglich zurück in die eigenen vier Wände zu schaffen. Dort heiratete er auch seine Lebensgefährtin. Das Ziel eines weiterhin selbstständigen und selbstbestimmten Lebens treibt die junge Familie nun täglich an.
Das soziale Umfeld in der fränkischen Kleinstadt Volkach am Main, überregional bekannt durch seine zahlreichen Weinbauern, sollte auf jeden Fall erhalten werden. Wunsch ist es von Anfang an, im Obergeschoss des elterlichen Wohnhauses der Ehefrau weiter wohnen zu können.
Hierzu mussten zahlreiche Umbaumaßnahmen sowohl am Haus als auch seinem Umfeld geplant und realisiert werden. Die große Herausforderung für den Planer war hier:
Wie gestalten wir den Umbau so, dass unser Rollstuhlkunde wie auch seine groß gewachsene Ehefrau alle Einzelbereiche nach dem Umbau bequem nutzen können?Nach den Planungen, die genau auf die Einschränkungen unseres Kunden abgestimmt wurden, begannen im Jahre 2014 die Bauarbeiten.
Folgende Einzelbauarbeiten wurden um- oder angebaut bzw. aufwendig angepasst:
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- komplette stützenfreie Überdachung der Vorfläche vor den Garagen, die zukünftig als Stellplatz für das umgebaute Auto genutzt wird.
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- Zugang „trockenen Fußes“ zum neuen Senkrechtaufzug bzw. in den Garten.
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- Anbau eines wärmegedämmten Senkrechtaufzuges mit vier Haltestellen (dadurch Erreichen aller Ebenen wie Keller, Wohnung der Schwiegereltern und eigene Wohnung)
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- Beseitigung mehrere Türschwellen und Barrieren in der OG-Wohnung.
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- Umbau von Innentüren zu leicht bedienbaren Schiebetüren in ausreichender Durchgangsbreite.
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- Komplettumbau des Badezimmers – Mehrfläche schaffen durch Integrieren der Vorratskammer in die Küche
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– Das neue Bad:
bodengleiche, schwellenlose Dusche zur Nutzung auch mit Duschrollstuhl, neues WC, ausreichend lang zum Überfahren mit dem WC-Rollstuhl, mit beidseitigen Stützgriffen, angeordnet nach den Bedürfnissen/Einschränkungen des Klienten, flacher, schlanker und unterfahrbarer Waschtisch mit schwenkbarem Spiegelschrank, Badewanne für die Ehefrau wie im alten Bad auch.
– Die neue Küche:
komplett barrierefreie Küche, geplant und montiert durch einen barrierefreien Küchenspezialisten
Zusatzausstattung u.a.:
höhenverstellbare Arbeitsplatte mit Spüle und Kochfeld, alles unterfahrbar, Backofen mit speziell für Rollstuhlfahrer entwickelter Tür. Alle ständig benötigten Utensilien sind in unmittelbarer Nähe, leicht selbstständig zu erreichen. Durch Abbruch der Kücheninnenwände wurde eine großzügige Bewegungsfläche rund um Küche und Essbereich geschaffen.
– Zugang Wohnzimmer–Balkon:
Durch Verbreitern der Türöffnung und Einbau einer neuen schwellenlosen Fenstertüre ist es dem Klienten zukünftig sogar selbstständig möglich, den Balkon zu nutzen.
– Schlafzimmer:
Einbau eines neuen Bodenbelags, rollstuhlgeeignet
Nachrüsten einer elektrischen Fernbedienung für die Fensterverdunklung/Rollladen
Der Umbau wurde Mitte 2015 fertiggestellt. Durch die enge Zusammenarbeit mit unserem Kunden und seiner Frau konnten wir das Projekt zur vollsten Zufriedenheit des Bauherrn abschließen.
Praxistipps zum barrierefreien Bauen
Thema Bad – Wissenswertes zur Dusche
Im Bereich Dusche hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel verändert. Hatte früher noch nahezu jede Dusche eine ca. 30 cm hohe Duschwanne mit mehrteiliger Schiebetür, setzt sich jetzt eine bodengleiche und schwellenlose Duschtasse nach und nach durch. Den gestalterischen Mehrwert, die Bodenfliese auch in der Dusche fortzuführen, schafft neue Möglichkeiten hin zum „Wellnessbad“.
Duschnischen mit Wandscheibe, an der die Armaturen und rückseitig der Handtuchheizkörper montiert sind, füllt das Bad auch in der Mitte des Raumes.
Hat man noch vor zehn Jahren bei schwellenlosen Duschen nur Mittelabläufe mit kleinteiligen Bodenfliesen einsetzen können, bieten heute die Duschrinne oder der unsichtbare Wandeinlauf ganz neue Möglichkeiten, z.B. Verlegen der großflächigen Bodenfliesen auch in der Duschfläche.
Folgende Kriterien sind für eine barrierefreie und evtl. rollstuhlgerechte Duschanlage zu beachten:
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- niveaugleiche Gestaltung zum angrenzenden Bodenbelag des Bades mit Absen-kungen/Gefälle von max. 2 cm.
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- Gegebenenfalls auftretende Übergänge sollten als geneigte Fläche ausgebildet werden.
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- Einbau von Duschrinnen mit extra flachen Abläufen – Einsatz auch bei geringen Fußbodenaufbauten möglich (abhängig von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten).
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- Duschtüren können durch bauliche geschickt angeordnete Duschtrennwände, Glasscheiben oder Winkelmauern vermieden werden.
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- Sollten sie doch nötig sein, kann eine Duschtrennwand auch faltbar mit kontrastreichen Griffleisten eingebaut werden.
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- Gute Befahrbarkeit gewährleisten auch 10 mm vertiefte „Wannen“, die über eine spezielle Randplatte mit einem rampenartigen Übergang verfügen.
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- Eine Alternative bietet auch eine komplette Superflach-Duschwanne mit kleiner Einformung.
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- Grundsätzlich gilt: Bewegungsfläche in der barrierefreien Dusche: min. 1,20 x 1,20 m, in der rollstuhlgerechten Dusche: min. 1,50 x 1,50 m.
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- Einhebelmischer-Duscharmatur mit Handbrause, idealerweise inkl. umlaufendem, fest montiertem Handlauf: 85 cm über Oberkante Duschtasse montiert.
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- Der Hebel von Einhebel-Duscharmaturen sollte, um Verletzungsgefahren für blinde und sehbehinderte Menschen zu vermeiden, ständig nach unten zeigen.
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Infobox
ULI MÜLLER
Der Architekt aus Coburg entwickelt und baut mit seinem Team UMA individuelle, barrierefreie Lebensräume zum Wohnen und Arbeiten.Inzwischen hat er weit über 150 barrierefreie Bauprojekte in unterschiedlichen Bereichen erfolgreich abgeschlossen und ist seit 2006 auch als Gutachter für diesen Bereich tätig.