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Gestenreich und bildhaft

Die gehörlose Pfarrerin Felizitas Böcher im Interview

Felizitas Böcher bedient nicht gerade das Klischee einer Klerikerin – jugendlich wirkt die 35-Jährige mit dem langen roten Zopf und dem auffälligen C.I.A.-Shirt („Christ in Action“). Dass sie sich bei ihrem beruflichen Werdegang schon mehrfach beweisen und manch große Hürde meistern musste, vermutet man bei ihr nicht. Denn Frau Böcher ist die erste gehörlose Pfarrerin in Bayern.
Schwerhörig war sie schon von klein auf, was ihr die Schulzeit nicht gerade erleichterte. Vollends verlor sie ihr Gehör dann als Erwachsene. Während ihre Kommilitonen beim Theologiestudium über das Lernpensum der geforderten Sprachen Griechisch, Hebräisch und Latein ächzten, musste Felizitas Böcher nebenbei noch die Gebärdensprache erlernen.
Mit Gesten verständigt sie sich bei der Konversation bei Bedarf, zu Hause und mit gebärdenden Freunden, denn dank eines Cochlea-Implantats der neuesten Generation hört sie alles und auch beim Sprechen merkt man keinen Unterschied zu Hörenden. Die Gebärdensprache verwendet sie jedoch ganz selbstverständlich in ihren Messen und wird für ihre kurzen, bildhaften Predigten häufig gelobt. Im Interview mit Barrierefrei berichtet sie über ihren Beruf, den Umgang mit ihrer Hörbehinderung und wie es ihr gelingt, Inklusion umzusetzen.

Magazin Barrierefrei: Wie wir herausgefunden haben, haben Sie auch eine Ausbildung zur Informationstechnischen Assistentin begonnen. Was hat Sie danach dazu bewegt, den eher außergewöhnlichen Beruf Pfarrerin zu ergreifen?

Felizitas Böcher: Die Ausbildung habe ich vor meinem Abitur begonnen. Ich habe irgendwann bemerkt, dass die Technik zwar mein Hobby ist, aber mein Herz für etwas anderes schlägt. Über Gott und Glaube nachdenken, anderen davon erzählen, Seelsorge leisten und das Evangelium weitergeben – das ist es, was ich tun möchte. Technik bleibt mir ja trotzdem als Hobby.

BF: Sie sind jetzt fast seit einem halben Jahr im bayrischen Barthelmesaurach als Pfarrerin ordiniert. Welche Erfahrungen haben Sie seitdem gemacht? Wurden Sie trotz Ihrer Jugend und Ihres neuen Stils von allen Gemeindemitgliedern anstandslos akzeptiert?

Porträt von Felizitas Böcher
Die erste gehörlose Pfarrerin in Bayern: Felizitas Böcher

FB: Na ja, so jugendlich bin ich nicht. Eigentlich habe ich ja für den Einstieg ein ganz normales Alter ;-). Die meisten Menschen sind ca. 10 Jahre eher mit einer anderen Ausbildung fertig. Wenn man Pfarrer oder Pfarrerin werden möchte, dauert das sehr lange. Das wäre eher, woran ich denke.
Mein Gottesdienst unterscheidet sich nicht groß. Klar bin ich anders als mein Vorgänger – so wie jeder Mensch anders ist als der andere. Trotzdem pflege ich gern Traditionen – selbstverständlich auch die, die es in Barthelmesaurach gibt. Bislang haben mich alle Gemeindeglieder akzeptiert und ich fühle mich hier sehr wohl.

BF: Wie gelingt es Ihnen, die Messen inklusiv zu gestalten? Ist der Aufbau anders und übersetzen Sie alles in Gebärdensprache? Worauf achten Sie, damit alle daran teilhaben können?

FB: Ich verstehe Inklusion so, dass eben ALLE teilhaben können. Das bedeutet natürlich auch, dass ich schaue, wer da ist. Im Vikariat habe ich zum Beispiel alle Lieder angesagt, weil oft blinde Menschen im Gottesdienst waren, die die angeschlagenen Lieder nicht sehen können. Für das Liederbuch in Punktschrift brauchten diese Gottesdienstteilnehmer dann eine Liedansage. In Bart-helmesaurach war bislang noch kein Gehörloser (außer mir) im Gottesdienst. Daher macht es wenig Sinn, alles zu gebärden. Aber es macht Sinn, Dinge zu gebärden, die hörenden Menschen etwas verdeutlichen können. Manchmal kann das die Gebärdensprache sehr gut – besser als die laut gesprochene Sprache. Dann kann Teilhabe bedeuten, z. B. einen Begriff für Menschen zu gebärden, die gar keine Gebärdensprache sprechen. Zur Teilhabe gehört für mich aber auch, dass z. B. Kinder im Gottesdienst herumlaufen dürfen. So können auch die Kleinen teilhaben, die nicht die ganze Zeit stillsitzen können.

Aufgeschlagenes Gesangsbuch für den GottesdienstBF: Viele fühlen sich unsicher, wenn sie erstmals Kontakt zu Menschen mit einer sensorischen Behinderung haben. Wie reagieren Sie, wenn Sie merken,
dass Ihr Gesprächspartner verkrampft ist oder Vorbehalte hat?

FB: Passiert selten. Ich spreche mit den Menschen und bin selbst dabei locker, dann ist auch mein Gegenüber entspannt. Außerdem nehme ich Fragen nicht übel und erkläre alles Wichtige. Miteinander reden ist das A und O beim toleranten Miteinander.

BF: Beim Thema Behinderung werden ja häufig nur die jeweiligen Einschränkungen thematisiert. Viele berichten uns jedoch auch von den Fähigkeiten, die sie durch ihr Handicap entwickelt haben. Haben Sie ebenfalls diese Erfahrung gemacht?

FB: Klar. Ich sehe sehr viel aus den Augenwinkeln. Natürlich könnten das auch Normalhörende – aber als ich mein Gehör verlor, habe ich wesentlich mehr Augenmerk auf das Sehen gelegt und das ist mir geblieben. Außerdem hat sich meine Einstellung zum Leben verändert. Ich bin glücklicher und schaue nicht so viel darauf, was alles nicht klappen könnte, sondern versuche es einfach. Hoffnung und Zuversicht haben sich wesentlich verstärkt.

BF: Gibt es etwas, dass Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben möchten? Haben Sie vielleicht eine Lebensweisheit oder ein Motto?

FB: Aus der Bibel: Markus 9,23:

„Alles ist möglich, dem der da glaubt!“

Klar – ich kann nicht fliegen oder durch Wände laufen, aber das meine ich auch nicht. Ich meine, dass es gut ist, alles auszuprobieren. Mut bedeutet, Dinge zu versuchen, die erstmal unmöglich erscheinen (wie z. B. sein Gehör zu verlieren, aber trotzdem Pfarrerin zu werden und zu sein). Ich finde es besser alles erstmal zu probieren, denn was man gar nicht erst beginnt, kann auf keinen Fall klappen. Die Chance, dass man sein Ziel erreicht, steigt schon mit dem ersten Versuch. Also: Lasst euch nicht unterkriegen, egal wo ihr gerade steht und was vor euch liegt. Glaubt an euch.
Außerdem glaube ich ganz fest daran, dass es da diesen Gott gibt, der an seine Menschen glaubt – so wie sie sind und das stärkt mich. Egal, was gerade ist, von wo Zweifel kommen – aus dir oder deinem Umfeld – Gott ist da und glaubt an dich. Das tut er auch, wenn du an ihm zweifelst oder nicht an ihn glauben kannst. Möge Gott auch dich stärken.

Vielen Dank
für Ihre Zeit!

Fotos: Diana Roth, pixabay.
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