StartGesundheitWenn Wetterkapriolen Migräne auslösen

Wenn Wetterkapriolen Migräne auslösen

Steigende Temperaturen von über 5 °C innerhalb von 24 Stunden, abrupte Wetterwechsel und Luftdruckveränderungen können Migräneattacken auslösen. Das  gaben 53 Prozent der Teilnehmer*innen im Rahmen einer Patientenstudie an, in der sie über ihre subjektiven Migräneauslöser befragt wurden.

Migräne ist eine Volkskrankheit. In Deutschland leiden zwischen acht und zehn Millionen Menschen daran, Frauen häufiger als Männer. Die ernst zu nehmende neurologische Erkrankung geht bei vielen Betroffenen mit heftigen, meist einseitig pochenden Kopfschmerzen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Sehstörungen und Übelkeit einher. Die Auslösereize einer Migräne sind individuell und reichen unter anderem von Stress über Schlafmangel bis hin zu Hormonschwankungen und Wetterfühligkeit. Für Betroffene ist es wichtig, ihre Auslöser (Trigger) zu kennen und nach Möglichkeit zu vermeiden. Dabei kann ein Migränetagebuch helfen, in das die Anzahl der Migränetage, die Intensität der Schmerzen und mögliche Auslöser eingetragen werden.

Trigger meiden – mit Therapien vorbeugen

Wer an Migräne leidet, sollte bestmöglich seine individuellen Triggerfaktoren kennen und meiden. Im Akutfall helfen zwar Schmerzmittel, allerdings sollten diese nicht zu häufig eingenommen werden. Bei übermäßiger Einnahme können sie selbst zu Schmerzen    führen. Die Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit droht. Der bessere Weg ist es, den Migräneschmerz gar nicht erst entstehen zu lassen. Inzwischen gibt es vielfältige Möglichkeiten zur vorbeugenden Therapie, zum Beispiel die Migräne-Prophylaxe als Spritze. Dabei kommen spezielle Antikörper zum Einsatz, die ein Protein ausschalten, das den Migräneschmerz weiterleitet.

IM INTERVIEW

Prof. Dr. med. Uwe Reuter (Neurologe und Leiter des Kopfschmerzzentrums der Charité Berlin)

Portraitbild von Prof. Dr. Uwe Reuter.

Für wen kommt eine Migräne-Prophylaxe überhaupt in Betracht?

Die Leitlinien der Fachgesellschaften raten zu einer vorbeugenden Therapie, wenn Patienten drei oder mehr Migräneattacken pro Monat haben. Diese können jeweils zwischen 4 und 72 Stunden andauern. Die eigene Einschränkung im Alltag ist hier ebenfalls ein wichtiger Indikator. Wer sich stark zurücknehmen muss, seinen Alltag nicht mehr bestreiten kann oder schlecht auf Schmerzmittel für den Akutfall anspricht, sollte sich mit einem Spezialisten beraten.

Welche prophylaktischen Therapien gibt es aktuell?

Auf der Seite der nichtmedikamentösen Verfahren ist Sport ein wichtiger Ansatz. Joggen, Fahrradfahren, Ausdauersportarten im Allgemeinen wirken sich auf Migränepatienten oft positiv aus. Auf der Seite der medikamentösen Verfahren gibt es Medikamente in Tablettenform wie Antiepileptika oder Antidepressiva, die zwar nicht spezifisch für die Migräne entwickelt wurden, aber auch vorbeugend positiven Einfluss auf die Migräne nehmen können. Gleiches gilt für Botox als Injektionstherapie, jedoch nur bei chronischer Migräne. Darüber hinaus gibt es noch die sogenannte Antikörpertherapie in Form der Migränespritze als einziges vorbeugendes Medikament, das spezifisch gegen Migräneattacken entwickelt wurde.

Was sind die häufigsten Ängste/Sorgen, von denen Patienten Ihnen berichten, wenn es um die (vorbeugende) Behandlung von Migräne geht?

Patienten ängstigt oft die Einnahme von Medikamenten, die originär für die Behandlung von anderen Krankheiten eingesetzt werden. Auch Nebenwirkungen von Medikamenten sind immer wieder ein Thema, das Patienten umtreibt.

Warum brechen so viele Patienten die vorbeugenden Therapien ab?

Aus Studien wissen wir, dass 70 Prozent der Patienten mit episodischer Migräne, also mit weniger als 15 Kopfschmerztagen im Monat, die vorbeugenden Medikamente nicht langfristig einnehmen. Bei einer chronischen Migräne sind es sogar bis zu 80 Prozent. Das sind hohe Zahlen, die zwei Ursachen haben: Zum einen liegt das an der mangelnden Wirksamkeit. Auf der anderen Seite brechen viele Patienten vorbeugende Therapien aufgrund von Nebenwirkungen ab. Gerade in den ersten drei Monaten stellen diese für viele Betroffene einen begrenzenden Faktor dar, der schließlich häufig zum Abbruch führt.

Würden Sie sagen, dass man in dem Fall dann abwarten sollte, bevor man die Therapie abbricht?

Das hängt von der jeweiligen Nebenwirkung ab. Manche Beschwerden können sich durchaus verbessern. Geht es aber zum Beispiel um Denkstörungen oder depressive Verstimmungen, dann muss man die Therapie abbrechen. Das sind Beschwerden, die sich in der Regel nicht verbessern. Hier geht es dann darum, mit dem behandelnden Arzt ins Gespräch zu treten und nach einer Alternative zu suchen.

Welche Rolle spielt die Antikörpertherapie?

Eine solche Alternative kann dann die Antikörpertherapie sein: In Form einer Injektion mit dem Wirkstoff Erenumab („Migränespritze“) steht diese Patienten auf dem deutschen Markt seit 2018 zur Verfügung. Mittlerweile sind auch einige andere Wirkstoffe mit einem sehr ähnlichen Wirkprinzip zugelassen (Galcanezumab/Fremanezumab). Die Migränespritze ist die modernste Therapieform, die uns derzeit zur Verfügung steht, wenn es um die vorbeugende Behandlung von Migräneschmerzen geht. Die Abbruchrate ist hier äußerst gering. Die Substanzen müssen in der Regel einmal pro Monat verabreicht werden. Erstattet wird die Migränespritze übrigens von den Krankenkassen, wenn der Patient alle anderen etablierten Medikamentenklassen erfolglos ausprobiert hat. Das sind bei der chronischen Migräne fünf und bei der episodischen vier Vortherapien, die keine Wirkung erzielen konnten.

Wie genau funktioniert die Antikörpertherapie?

Es gibt einen Botenstoff im Blut (CGRP), der bei einer Migräneattacke im Schmerznervensystem des Gehirns und in der Hirnhaut im Übermaß ausgeschüttet wird. Der erwähnte Wirkstoff Erenumab bindet sich zum Beispiel an den Rezeptor des Eiweißes CGRP, was für Calcitonin Gene-Related Peptide steht, und blockiert somit die Bindungsstelle des Botenstoffs. Die Migräne wird somit schon im Vorfeld gestoppt, bevor es zu einer Attacke kommen kann.

Wie sieht das Verträglichkeitsprofil hier aus?

Die Antikörper sind vom Verträglichkeitsprofil deutlich besser als die herkömmlichen Medikamente. Das liegt vor allem daran, dass diese Antikörper sehr spezifisch wirken – nämlich nur an einer einzigen Bindungsstelle im Gehirn. Das ist entweder, je nach Wirkstoff, an einem Botenstoff (Galcanezumab/Fremanezumab) oder einem Rezeptor. Nebenwirkungen treten allgemein deutlich seltener auf als bei herkömmlichen Medikamenten. Dementsprechend wird die Antikörpertherapie auch nicht häufig von Patienten abgebrochen.

Welche Vorteile hat diese Therapieform noch?

Antikörper müssen nicht wie andere Medikamente in der Vorbeugung aufdosiert werden. Ihre Wirkung tritt sofort ein. Andere Prophylaxe-Therapien in Tablettenform brauchen länger (ca. vier bis acht Wochen), bis sich eine Wirkung einstellt. Darüber hinaus kommt es bei den Antikörpern nicht – wie bei einigen anderen herkömmlichen Medikamenten zur Prophylaxe – zu Interaktionen, also Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Ein weiterer Vorteil ist, dass Patienten nicht täglich an ihre Erkrankung erinnert werden: Man kann sich die Antikörpertherapie, nach Anweisung des Arztes, einmal im Monat selbst verabreichen durch einen Autoinjektions-Pen. Antikörpertherapie-Patienten haben darüber hinaus einen erheblichen Zugewinn an Lebensqualität, was sich auch in Studien zur migräneassoziierten Lebensqualität widerspiegelt. Natürlich, das sollte nicht außen vor gelassen werden, gibt es leider 10 bis 15 Prozent von Betroffenen, bei denen die Antikörper keine ausreichende Wirkung erzielen.

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