Digitale Barrierefreiheit ist eine Voraussetzung für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wird in Deutschland ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen, um digitale Angebote zugänglicher zu machen. Der Gesetzgeber richtet sich dabei ausdrücklich auch an private Unternehmen.
Rechtlicher Hintergrund und europäische Grundlage
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) basiert auf dem European Accessibility Act (EAA), einer EU-Richtlinie zur Harmonisierung der Barrierefreiheitsanforderungen innerhalb des Binnenmarktes. Der EAA wurde 2019 verabschiedet und verpflichtet alle Mitgliedstaaten zur nationalen Umsetzung. Deutschland erfüllt diese Vorgabe mit dem BFSG. Das Gesetz wird am 28. Juni 2025 in Kraft treten und ergänzt bestehende Regelungen wie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0).
Ziel ist es, Hindernisse bei der Nutzung digitaler Produkte und Dienstleistungen zu beseitigen. Damit soll Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigter Zugang zu Informationen, Kommunikation und digitalen Geschäftsprozessen ermöglicht werden.
Inhalte und Regelungsbereiche des BFSG
Das Gesetz definiert konkrete Anforderungen an die Gestaltung und Bereitstellung digitaler Produkte und Dienstleistungen. Im Fokus stehen barrierefreie Websites, Onlineshops und mobile Anwendungen. Anbieter müssen sicherstellen, dass ihre Angebote ohne Einschränkungen nutzbar sind, unabhängig von individuellen physischen oder kognitiven Fähigkeiten.
Technisch orientiert sich das BFSG an den Richtlinien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) in Version 2.1 auf Konformitätsstufe AA. Dies betrifft unter anderem:
- verständliche Navigation
- lesbare Inhalte mit ausreichenden Kontrasten (Verhältnis von mindestens 4,5:1)
- Schriftgröße mindestens 16 Pixel
- Alternativtexte für Bilder
- Bedienbarkeit über Tastatur
- Kompatibilität mit Screenreadern und Assistenzsoftware
Auch interaktive Elemente wie Formulare, Bezahlvorgänge oder Produktkonfiguratoren müssen barrierefrei zugänglich sein.
Eine zweite zentrale Säule betrifft die digitale Kommunikation im Kundenkontakt: Vertragsinformationen, Buchungsbestätigungen und Hilfeangebote müssen ebenfalls barrierefrei bereitgestellt werden.
Betroffene Gruppen und Ausnahmen
Das BFSG richtet sich an Unternehmen, die digitale Produkte oder Dienstleistungen öffentlich anbieten. Dazu zählen unter anderem:
- Betreiber von Websites und mobilen Anwendungen
- E-Commerce-Anbieter und Onlinehändler
- Entwickler von Buchungs-, Ticketing- oder Bezahlsoftware
- Hersteller digitaler Endgeräte mit Benutzeroberfläche
Von der Verpflichtung ausgenommen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro – jedoch nur, sofern sie digitale Dienstleistungen ohne öffentlichen Zugang anbieten.
Übergangsfristen zur Umsetzung
Unternehmen haben Zeit, ihre digitalen Angebote bis zum 28. Juni 2025 an die neuen gesetzlichen Anforderungen anzupassen. Für bereits im Markt befindliche Produkte gelten teils längere Übergangsfristen bis Juni 2030, sofern keine wesentlichen Änderungen vorgenommen werden. Neue Produkte oder Dienstleistungen, die nach dem Inkrafttreten bereitgestellt werden, müssen ab diesem Zeitpunkt vollständig barrierefrei gestaltet sein.
Praxisnahe Maßnahmen zur Umsetzung
Folgende Maßnahmen helfen dabei, die Anforderungen des BFSG systematisch umzusetzen:
- Einsatz barrierefreier Content-Management-Systeme mit entsprechender Template-Unterstützung
- Bereitstellung aussagekräftiger Alternativtexte für Bilder und grafische Inhalte
- Sicherstellung der vollständigen Tastaturbedienbarkeit, insbesondere bei Formularen und Navigationselementen
- Durchführung regelmäßiger Barrierefreiheitstests durch automatisierte Tools und manuelle Prüfungen
- Schulungen für Mitarbeitende in Redaktion, Entwicklung und Support zur Sensibilisierung und fachlichen Qualifikation
Accessibility by Design und Accessibility first
Barrierefreiheit ist am wirksamsten, wenn sie von Anfang an mitgedacht wird. Accessibility by Design beschreibt ein Konzept, bei dem Anforderungen der Barrierefreiheit integraler Bestandteil der Produktentwicklung sind. In jeder Phase eines digitalen Projekts werden Kriterien für Zugänglichkeit berücksichtigt.
Accessibility first geht darüber hinaus. Hier wird die barrierefreie Nutzung als vorrangiges Entwicklungsziel behandelt. Die Gestaltung orientiert sich direkt zu Projektbeginn an den Bedürfnissen von Menschen mit Einschränkungen. Lösungen, die diesen Anforderungen genügen, bieten in der Regel auch allen anderen Nutzergruppen eine bessere Handhabung.
Diese Herangehensweisen führen zu konformen Lösungen, reduzieren langfristig Aufwand für nachträgliche Anpassungen und vermeiden Fehlentwicklungen.
Folgen bei Verstößen gegen das BFSG
Unternehmen, die gegen die Vorgaben des BFSG verstoßen, müssen mit Sanktionen rechnen. Je nach Schwere des Verstoßes können Bußgelder bis zu 100 000 Euro verhängt werden. Zusätzlich drohen aufsichtsrechtliche Maßnahmen, wenn Barrieren nicht innerhalb festgelegter Fristen beseitigt werden. Bei wiederholten oder gravierenden Verstößen ist eine öffentliche Bekanntmachung der betroffenen Unternehmen möglich, was Reputationsrisiken mit sich bringt.
Unterstützende Institutionen und Hilfsangebote
Für Unternehmen stehen verschiedene Anlaufstellen zur Verfügung, die bei der Umsetzung des BFSG fachlich unterstützen:
BITV-Test – bietet praxisorientierte Tests und Prüfkriterien zur Barrierefreiheit von Webangeboten
DIAS GmbH – Dienstleistungsanbieter für digitale Barrierefreiheit mit Schwerpunkt auf Beratung, Testing und Entwicklung
Bundesfachstelle Barrierefreiheit – zentrale staatliche Einrichtung mit Informationsangeboten, Schulungen und Praxisleitfäden
Diese Institutionen helfen dabei, digitale Angebote systematisch auf Barrierefreiheit zu prüfen und nachhaltig barrierefrei zu gestalten.