Immer mehr Deutsche schließen im Alter den Bund fürs Leben. Dank steigender Lebenserwartung winken noch viele gemeinsame Jahre – selbst die Silberhochzeit.
Eigentlich hatte Christiane vom Orde die Nase voll. Sieben Jahre Online-Dating, sieben Jahre ein Reinfall nach dem anderen. „Ich war so weit, zu sagen: Schluss, aus, Feierabend. Kein Bock mehr, ich gebe jetzt auf und bleibe allein“, erzählt sie. Doch das Schicksal und eine Kundin in ihrem Kosmetikstudio hatten etwas anderes mit ihr vor. Viel zu fit und lebenslustig sei sie, fand diese. Single bleiben – doch nicht mit 55! Ach, und ja, da wäre so ein „Trauerkloß“ in der Firma ihres Mannes. Ein wirklich Netter, dessen Ehe auch gescheitert sei. Warum nicht mal auf ein Käffchen treffen? Sie müsse ihn ja nicht gleich heiraten. Na gut, ein letzter Versuch.
Die Liebe kennt kein Alter
Was dann folgte, kann Christiane vom Orde bis heute noch nicht so recht fassen. Den Vorsatz, nicht gleich heiraten zu müssen, wird sie nicht ganz einhalten können. Denn als sie und Hugo Helbing sich spontan zu einem Blind Date treffen, entfährt beiden zur Begrüßung synchron nur eines: „Wow!“ Liebe auf den ersten Blick – gleich die ersten gemeinsamen Schritte machen sie Händchen haltend durch die Nacht. „Sowas ist mir in meinem ganzen Leben vorher noch nie passiert“, sagt vom Orde. Und Helbing schwärmt: „Ihre Ausstrahlung hat mich sofort umgehauen.“ Beim Urlaub auf Sylt lernen sich die beiden dann richtig kennen und merken, dass sich ihr Anfangsverdacht bestätigt: Auch Charakter, Humor, Interessen und Ansichten passen wie die Faust aufs Auge. Als wäre der Magen mit Honig ausgeschlagen – so fühlen sie sich bis heute.
Dass ihre Liebe irgendwann auch besiegelt werden soll, war für die zwei klar. Als Hugo seiner Christiane dann 2016 – am siebten Jahrestag ihres ersten Dates – einen Antrag machte, musste er daher auch kein Nein befürchten. „Seine Brille war von Emotionen und Tränen so beschlagen, dass er es gar nicht bis zum Kniefall geschafft hat“, erzählt vom Orde lachend. Den brauchte sie auch nicht, um sofort Ja zu sagen. Knapp drei Monate später wurden die Ringe getauscht. Dass beide damals schon in einem mehr als heiratsfähigen Alter waren – sie 63, er 62 Jahre –, spielte dabei überhaupt keine Rolle. Im reifen Alter noch mal eine Ehe wagen? Eine überflüssige Frage, wenn Liebe im Spiel ist.
Zahl der Hochzeiten 60+ verdreifacht
Christianes und Hugos Geschichte ist Ausdruck eines Trends, der sich seit Jahren beobachten lässt: Immer mehr Deutsche gehen auch im Alter noch den Bund fürs Leben ein. Im Jahr 2015 zählte das Statistische Bundesamt 31.724 Eheschließungen, bei denen mindestens eine Hälfte des Brautpaars älter war als 60. Damit hat sich die Zahl der Ü-60-Hochzeiten gegenüber 1990 mehr als verdreifacht; ihr Anteil an allen Jaworten ist von einem auf vier Prozent geklettert. Fasst man die Altersgruppe etwas größer, wird heute sogar jede siebte Ehe zwischen Bräuten und Bräutigamen geschlossen, die beim Ringtausch zwischen 50 und 75 Jahre alt sind. 2005 war es hingegen nur jede zehnte Ehe.
Dass Christiane und Hugo beim zweiten Ehe-Anlauf nicht zögerten, habe auch viel damit zu tun, wie anders, wie entspannt und harmonisch eine neue Beziehung im Alter sein kann. „Wir wissen genau, was wir wollen und brauchen – und was nicht mehr“, so vom Orde. In ihren ersten Ehen ging es vor allem ums Streben: Familie gründen, Nest bauen, im Job vorwärtskommen. Die Zweisamkeit blieb im stressigen Alltag oft auf der Strecke. Man lebte sich schleichend auseinander. Lange Gespräche wie heute mit Hugo – mit ihrem ersten Mann gab es das so gut wie nie. Heute müssten sie nicht mehr streben, könnten ohne Druck und dafür mit viel Freiheit ihr gemeinsames Leben gestalten. Viele ältere Deutsche empfinden das ähnlich und geben der Liebe mit Trauschein eine zweite Chance. So stieg der Anteil der Folgeehen – geschlossen von 55- bis 80-Jährigen – zwischen 2008 und 2014 um satte 30 Prozent.
Lebenserwartung steigt – und damit die Zeit zu zweit
Ob Ehe Nr. 1 oder „Wiederholungstäter“: Die Frage, ob sich ein solcher Schritt im Alter generell überhaupt noch lohnt, braucht man sich heutzutage eigentlich nicht mehr stellen. Die Antwort ist die gleiche wie am Traualtar: Ja. Denn die steigende Lebenserwartung schenkt den Spät-Frischvermählten viel mehr gemeinsame Zeit als früher. Laut der Deutschen Rentenversicherung wächst das Durchschnittsalter bei Verwitwung stetig an. Verloren Frauen 1996 noch mit durchschnittlich 66 Jahren ihren Ehemann, wurden sie 2016 erst mit 72,3 Jahren zur Witwe. Bei Männern stieg das Zugangsalter für eine Hinterbliebenenrente im gleichen Zeitraum sogar um acht Jahre – von 66,8 auf 74,9 Jahre.
Parallel dazu leben auch immer weniger Ältere allein, sondern in einer Paarbeziehung unter einem Dach. 2016 ganze 62 Prozent der über 65-Jährigen – gegenüber knapp 54 Prozent im Jahr 1996. Selbst bei den über 80-Jährigen deutet der Trend auf ein längeres Leben zu zweit: Rund die Hälfte hat heute noch den Partner oder die Partnerin an seiner Seite. 20 Jahre zuvor war dieses Glück nur 43 Prozent von ihnen vergönnt.
Sogar Silberhochzeit möglich
Gute Aussichten also für Christiane und Hugo. Die gewonnenen gemeinsamen Lebensjahre brauchen sie auch, denn sie lieben es, aktiv zu sein. „Wir überlegen jeden Abend, was wir morgen so Schönes machen können“, sagt vom Orde, die bereits in Rente ist. Auch Hugo bereitet sich so langsam auf den Berufsaustritt vor, ist nur noch halbtags als Ingenieur tätig. Sie freuen sich auf noch mehr gemeinsame Zeit, das heißt, gemeinsam zu kochen, zu gärtnern, Rad zu fahren und Zeit mit ihren drei Kindern zu verbringen. Alle drei Kinder finden es toll, dass sich Mama und Papa noch mal „getraut“ haben. Und das Brautpaar freut sich auch auf das Entdecken neuer, unbekannter Orte. Schon ihre Hochzeitsreise war kein typischer Honeymoon mit Fünfsternehotel und Rumliegen am Pool: Ein Adventure-Urlaub in der Karibik war da schon eher nach ihrem Geschmack. Dass es noch viele weitere Abenteuer werden, dafür stehen die Chancen gut: Denn wer mit Anfang 60 heiratet, kann mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 Prozent sogar die Silberhochzeit feiern.
Wir bedanken uns für die Genehmigung des Nachdrucks bei dem Magazin „7 Jahre länger“ – eine Initiative der Deutschen Versicherer.