Die Schwerelosigkeit ist für viele Menschen ein Traum. Entweder in der Luft oder unter Wasser. Beides erlaubt einen anderen Blick auf unser tägliches Leben an Land.
Wie ich mit MS Tauchen lernte
Vor fünf Jahren habe ich bei einem „Schnuppertauchen“ im Parkbad Geldern (NRW) Blut geleckt … Vielen anderen Menschen geht es genauso. Ein Schnuppertauchgang im Urlaub motiviert viele Teilnehmende, dem Tauchhobby auch zu Hause weiter nachzugehen und einen Tauchschein zu machen.
Allerdings gibt es bei mir eine „kleine“ Einschränkung – ich habe seit 22 Jahren Multiple Sklerose und benötige seit mittlerweile acht Jahren einen Rollstuhl. Dennoch konnte ich im Jahr 2018 beim IAHD (International Association of Handicapped Divers) meinen Tauchschein machen. Mit anderen „handicapped“ Mittauchenden, vielen lieben erfahrenen Begleittauchenden und unserem Tauchlehrer Freddy Gaubitz ging es dann 2019 zu einem Tauchurlaub nach Abu Dabbab in Ägypten. Dieser Urlaub war eine ganz besondere Erfahrung, und die Gruppe wollte diese in 2020 wiederholen. Leider machte uns Corona einen dicken, fetten Strich durch unser Vorhaben. Tauchen war dann selbst in heimischen Gefilden nicht möglich.
Geführter Tauchurlaub in Ägypten
Als dann Ende 2021 die Coronaregeln so weit gelockert wurden, dass ein Tauchurlaub in Ägypten ohne Probleme durchzuführen war, trommelte Freddy Gaubitz die Truppe wieder zusammen und organisierte eine Reise nach Marsa Alam in Ägypten. Diesmal waren wir drei Rollifahrende, drei Gehbehinderte, sechs ausgebildete Begleittauchende, drei Mittauchende und natürlich Freddy – unser Tauchlehrer.
Check der Tauchtauglichkeit
Bevor es allerdings losgehen konnte, musste ich erst wieder meine Tauchtauglichkeit bescheinigt bekommen. Nach den Vorschriften der GTÜM (Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin) muss ich diese aufgrund meines Alters jedes Jahr erneuern und auch jedes Mal ein Belastungs-EKG machen. Dies ist gerade für Rollstuhlfahrende ein Problem, doch ich konnte in der Sportklinik Hellersen (Lüdenscheid, NRW) bei Dr. Schneider die erforderlichen Untersuchungen, insbesondere das Belastungs-EKG per Handkurbelergometrie, erfolgreich absolvieren. So stand dem einwöchigen Taucherlebnis in Ägypten kaum noch etwas im Wege.
Organisation & Anreise
Freddy kümmerte sich um Flüge, Hotel und den Kontakt zur Tauchbasis „Blue Submarine“, und wir kümmerten uns um die Visa und meldeten unseren Rollstuhlservice, medizinisches Gepäck und Tauchgepäck (kostenpflichtig) bei der Fluggesellschaft an.
Anfang Mai standen dann 15 gut gelaunte „Reisende – mit und ohne Behinderung“ in der Schlange am Check-in im Düsseldorfer Flughafen. Wir kamen sogar relativ schnell durch die Sicherheitskontrolle und konnten nach dem Besuch des Duty-free-Shops bald das Flugzeug betreten.
Am Flughafen Marsa Alam angekommen, wurden die Rollstuhlfahrenden mit den Begleitpersonen im Hubwagen am Flugzeug abgeholt und zur Pass- und Sicherheitskontrolle gebracht, die wir relativ schnell passieren konnten. Nach der Kontrolle trafen wir auch unsere anderen Mitreisenden wieder, die sich schon eine ägyptische SIM-Karte fürs Handy besorgt hatten (ist dort um einiges günstiger als Auslandstarife deutscher Anbieter).
Diesmal erwarteten uns leider keine Kleinbusse für den Transfer zum Hotel, sondern ein großer Reisebus mit sechs Stufen zu den Sitzplätzen. Nur dank unserer Begleitenden kamen wir auf einen Sitzplatz, während die anderen unsere Rollstühle und das Gepäck verluden. Zum Glück war die Fahrt zum Three Corners Happy Life Beach Resort nicht allzu lang, und wir konnten recht schnell einchecken. Der Abend war dann nach dem Erkunden der Anlage von einem gemütlichen Zusammensein und dem Zusammenstellen der Tauchgruppen für den nächsten Tag geprägt.
Vorbereitung der Tauchgänge
Am nächsten Morgen ging es dann früh und nach einem guten Frühstück gemeinsam zur Tauchbasis zum Briefing und Anpassen des ggf. notwendigen Leihmaterials. Der Plan war, jeden Tag eine andere Bucht in der Nähe zu erkunden. Dafür wurden wir und unser Material nach dem Briefing in der Tauchbasis mit Kleinbussen zu den Buchten gebracht.
Viele ägyptische Helfende hatten dort bereits die Tauchflaschen und das Lager mit unserem Equipment aufgebaut. Nun kam für mich das Schwerste am Tauchen: das Anziehen des Neoprenanzuges. Ich bin nicht gerade schlank und auch nicht so beweglich, und ein Neoprenanzug muss schon recht eng sitzen, damit man nicht auskühlt. Viele der ägyptischen Helfenden wollten Hand anlegen, und ich musste sie richtig bremsen und erklären, wie es bei mir am besten funktioniert. Am zweiten Tag klappte das dann schon richtig gut.
Speziell für den Strand haben mein Sohn und ich zu Hause einen alten ausgemusterten Rollstuhl mit einer strandtauglicheren Doppelbereifung versehen. Mit diesem konnten wir dann auch bis ins Wasser gefahren werden. Meistens konnten wir aber bereits am Wassersaum aussteigen.
Tauchgänge in einer märchenhaften Unterwasserwelt
Im Wasser wurde uns dann die Tarierweste mit der Tauchflasche angezogen, die wir vorher an Land für uns präpariert hatten. Auch hier mussten wir unsere Helfenden von der Tauchbasis in ihrer Hilfsbereitschaft bremsen. Schließlich hatten sie noch keine Erfahrung mit behinderten Tauchenden.
Nachdem alle angezogen und fertig für den Tauchgang waren, konnten wir abtauchen. Jetzt beginnt der Teil des Tauchganges, bei dem man völlig zur Ruhe kommen und das Schweben im Wasser genießen kann. Gerade im Roten Meer sieht man wunderbare Fische und Farben an den Korallenriffen. Wir sahen Schildkröten, Falterfische, verschiedene Barsche und vieles mehr – und auch „Nemo“ ist uns begegnet. Diese Bilder kann man kaum so schön auf Fotos oder in Videos bannen, wie man es selbst erlebt hat. Der Trubel vom Strand ist dann vergessen. Man konzentriert sich zuerst noch auf seine Atmung, doch schon bald fühlt man sich wohl in dieser fast märchenhaften Wasserumgebung.
Mit Begleittauchenden & Handschuhflossen
Ich tauche immer mit zwei Begleittauchenden, die mich ggf. tarieren und führen können und immer dafür sorgen, dass ich eine gute Lage im Wasser habe. Da wir Rollifahrenden ohne Flossen unterwegs sind, müssen wir den Flossenschlag durch Schwimmbewegungen ausgleichen und tragen daher besondere Handschuhflossen aus Neopren. Das erfordert natürlich mehr Ausdauer und Kraft, aber selbst unser ägyptischer Guide war erstaunt, wie schnell wir damit sein können. Gefühlt sind diese Tauchgänge immer zu kurz, aber man hat ja nur einen begrenzten Luftvorrat und muss den Weg zurück zum Strand im Auge behalten.
Zurück an Land
Dort angekommen wurden wir wieder von den Helfenden der ägyptischen Tauchbasis in Empfang genommen. Uns wurde das Equipment abgenommen und zu unserer Transportkiste gebracht, auch wir wurden wieder an Land gebracht und zu unserem Platz gerollt, wo wir uns dann aus dem Neopren pellen konnten.
Nach dem Tauchgang gab es dann Getränke und kleine Snacks, um den Energiehaushalt wieder aufzufüllen. Ich habe mich dann umgezogen und es mir in meinem eigenen Rollstuhl im Schatten unter dem Sonnenschirm gemütlich gemacht, während sich unsere Begleit- und Mittauchenden für einen zweiten Tauchgang vorbereitet haben.
Dolphin House & Hausriff
Ein besonderer Tauchausflug war die Bootstour zum Dolphin House. Es ist ein sehr bekanntes und beliebtes Tauchgebiet (Shaab Samadai). Hier ist die Chance sehr groß, auf Delfine zu treffen. Die ägyptischen Umweltbehörden haben dieses Gebiet schützen lassen. Das Boot war nicht barrierefrei, aber viele Helfende und Improvisation können vieles an Barrierefreiheit ersetzen. Vom Rollstuhl auf das Schlauchboot und von da auf das große Boot. Alles wurde irgendwie mit vielen helfenden Händen bewerkstelligt. Das Riff um das Dolphin House war wunderschön.
Auch der Tauchgang vom Steg des Hausriffs am Hotel war spannend. Immerhin musste zum Wasser ein Höhenunterschied von 3,50 m überwunden werden. Die ganz mutigen Tauchenden sprangen mitsamt Ausrüstung einfach hinunter, der Rest ging bzw. „rutschte“ mit Hilfe vorsichtig die Treppe hinunter.
Nach den Tauchgängen wurden unser Material und das Lager auf einen Pick-up verladen, und wir fuhren mit den Kleinbussen wieder zurück zum Hotel. Später haben wir dann unsere Ausrüstung gereinigt, wobei uns immer geholfen wurde.
Danach haben wir uns entweder auf dem Zimmer, am Pool, in der Strandbar oder irgendwo in der Anlage bis zum Abendessen erholen können. Unsere Gruppe saß später noch gemütlich auf der Terrasse und ließ den Tag Revue passieren.
Unsere Gruppe war etwas Besonderes
Für das Hotel und viele Gäste war unsere Gruppe etwas Besonderes. Behinderte fahren schon öfter nach Ägypten in Urlaub, und auch einige Hotels sind „einigermaßen“ barrierefrei, aber aktive Tauchende mit Behinderung sind sehr selten. Immerhin schafften wir es auch noch mit Bildern und einem Video vor Ort in die Presse, Fernsehnachrichten und Online-News. Am letzten Tag gab es eine große Verabschiedung in der Tauchbasis mit Kuchen und vielen netten Worten.
Ob im Hotel oder an der Tauchbasis – überall wurde uns freundlich und tatkräftig geholfen, manchmal musste man die Helfenden aber auch bremsen, so überschwänglich wurde zugegriffen.
Leider war diese Woche viel zu schnell vorbei, und am Abreisetag stand da schon wieder der große Reisebus. Mithilfe unserer Begleitenden konnten wir unsere Plätze einnehmen. Der anwesende Reiseführer und der Busfahrer waren dann allerdings nicht ganz so freundlich wie das Personal im Hotel und in der Tauchbasis, aber das ist eine andere Geschichte.
Am Airport konnten wir dann vor der Tür zum Rollfeld auf den Hubwagen warten, bevor es auf den fünfstündigen Heimflug ging.
Wenn ich an diese Reise denke, könnte ich noch viel mehr erzählen, und sofern es möglich ist, wird unsere Gruppe bestimmt bald wieder auf Tauchreise gehen. Auf jeden Fall werden wir uns bald wieder zum Training im Schwimmbad oder einem heimischen Gewässer treffen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die diese Tauchreise ermöglicht und mich und alle anderen unterstützt haben!
PS: Unser Tauchlehrer bietet auch weitere Tauchkurse an. Mehr dazu finden Sie in dem Artikel ‚Einfach mal abtauchen‚.
Weitere barrierefreie Reiseziele, wie beispielsweise Antalya oder Israel, finden Sie hier: https://barrierefrei-magazin.de/antalya-moderne-und-antike-in-einer-metropole/ oder https://barrierefrei-magazin.de/artikel/israel/