Robert Habeck

Sehr geehrter Herr Habeck, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für die Beantwortung unserer Fragen nehmen. Sie führten bis 2002 wohl ein eher ruhigeres Leben als Schriftsteller und sind dann in die Politik gegangen. Was brachte Sie zu diesem Schritt? Ist es Ihnen gelungen, einige der Vorstellungen und Ansprüche, die Sie damals hegten und erfüllen wollten, umzusetzen? Oder ist alles ganz anders gekommen, als geplant?

In dem Dorf, in dem ich damals gelebt habe, fehlte ein Radweg ins nächste Dorf, zur Schule meiner Kinder. Da dachte ich mir: wer von den Parteien setzt sich für sichere Radwege ein? Wahrscheinlich die Grünen, und bin zum nächsten Kreismitgliederabend gefahren. Das war im Jahr 2002. Der Vorstand des Kreisverbandes war gerade zurückgetreten, aus Protest gegen die rot-grüne Entscheidung, den Afghanistankrieg mitzutragen. Ich traf dort also auf eine resignierte Gruppe von Grünen-Mitgliedern, die nach einem neuen Vorstand suchte und niemand wollte es sein. Naja, dann habe ich es gemacht. Politik heißt, Verantwortung für das zu übernehmen, was um einen herum geschieht. Wenn etwas nicht gut läuft, die Fäden in die Hand zu nehmen und die Dinge zu ändern. Und zwar, indem Politik die Rahmenbedingungen dafür setzt, dass jede und jeder frei und selbstbestimmt leben kann. Das reicht vom kleinen bis zum großen: vom sicheren Schulweg über saubere Luft in den Innenstädten bis hin zur Eindämmung der Klimakrise. Dabei müssen wir um gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit ringen und dafür auch Kompromisse eingehen. Nie werden Dinge eins zu eins den eigenen Vorstellungen nach umgesetzt, aber das gehört ja gerade zu einer lebendigen Demokratie dazu.

Fragen Ihre Kinder Sie auch manchmal, ob Sie als Politiker bei bestimmten Entscheidungen zu Problemen wie Umweltverschmutzung, Klimawandel oder Artensterben Ihren Einfluss nicht noch stärker geltend machen könnten? Wie begegnen Sie diesen Fragen?

Natürlich höre ich als Politiker oft genug, es reicht doch noch nicht. Genau das ist ja der Ansporn: Immer weiter zu machen und da, wo es sich verhakt, auch mal die eigenen Annahmen auf den Prüfstand zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen. Politik ist nie fertig. Das ist ja das Spannende.

Sie sind sehr engagiert, was vermutlich oft auch viel Energie kostet. Wie entspannt sich ein Robert Habeck in seiner Freizeit?

Mir geht es wie vielen anderen Menschen auch: Meine Tage sind so vollgetaktet, ich hetze oft von einem Termin zum nächsten. Entspannung ist für mich da die Normalität: Fahrrad flicken, Rasen mähen, Wohnung aufräumen.

Glauben Sie daran, dass Inklusion in unserer Gesellschaft gelingen kann oder ist das eher eine Illusion?

Ich habe ja meinen Zivildienst in einem Wohnheim mit Menschen mit Mehrfachschwerstbehinderung verbracht. Und ich weiß aus dieser Zeit aus eigenem Erleben und Leben, wie groß die Sehnsucht nach alltäglicher Teilhabe ist. Wir haben damals die Rolli-Fahrerinnen mit in die Disco genommen, ich war mit einem jungen Mann, der spastisch gelähmt war, auf der Reeperbahn. Sie wollten genau das, was alle wollen: dazugehören. Seit 2009 steht die UN-Behindertenrechtskonvention im Gesetz. Aber nach wie vor fehlt es an politischem Willen und Mut, die Konvention in Deutschland umfassend umzusetzen. Die Politik muss auf allen Ebenen den Menschenrechten einen höheren Stellenwert einräumen, deshalb nehmen wir die Inklusion sehr ernst und treiben sie weiter voran.

Wertschätzung – was fällt Ihnen dazu ein?

Auf der politischen Ebene bedeutet Wertschätzung für mich, den anderen zu akzeptieren, sich seine Meinungen und Standpunkte anzuhören und fair zu debattieren. Im Wort selbst steckt ja der Gedanke, dass der Wert eines Menschen von einem anderen geschätzt und ihm dadurch zugesprochen wird. In diesem Sinne ist eine Gesellschaft wertschätzend, wenn sie jedem Einzelnen die gleichen Rechte und Chancen zuspricht: Menschen mit und ohne Behinderung, jeder sozialen oder ethnischen Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Identität, Religion, Weltanschauung und jeden Alters.

Unser Magazin möchte seinen Lesern Mut machen. Was möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben? Haben Sie eine Lebensweisheit oder ein Motto?

Es braucht Mut, Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu geben. Es braucht Toleranz, um Antworten, die einem nicht passen, als Meinungen der anderen in jeweils ihrem Recht stehen zu lassen. Und Leidenschaft, um dieses ewige Ringen um den richtigen Weg zu bejahen. Diese Leidenschaft ist das Rückgrat unserer Demokratie.

 

Interview: Peter Lange
Fotos: Nadine Stegemann, Dominik Butzmann

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