StartAktiv im RolliMit dem Faltboot auf der Treene

Mit dem Faltboot auf der Treene

Vor dem Bug des Bootes gurgelt und brodelt es. In der künstlich angelegten Verengung des Flussbettes nimmt das Wasser richtig Fahrt auf und wird über eine Stufe geschoben. Keine wirkliche Herausforderung für Wildwasserpaddler, aber allemal spannend für norddeutsche Flachlandbewohner plus Hund ohne viel Kajak-Erfahrung und einem Rolli im Gepäck.

Etwa drei Wochen vor diesem Wildwasser schnuppern rief mich Sven an, um sich in Sachen Faltboot schlauzumachen. Zehn Tage später verabredeten wir uns am Ufer der Treene in Hünning, um ein Testboot auszuprobieren.

Sven Clausen arbeitete in der Bordmontage einer Schiffswerft. Bei einem Arbeitsunfall brachen der 12. Brust- und der 1. Lendenwirbel. Folge dessen war eine inkomplette Querschnittlähmung. Ab Knie geht nichts mehr, von Bauch bis Knie stark eingeschränkt. Stehen und gehen mit Unterarmgehstützen ist bedingt möglich. Zu 90 Prozent ist Sven im Rolli unterwegs, macht viel im Sitzen, auf allen Vieren, liegend, hängend … alles, was möglich ist, nur anders als „normal“.

Nach dem Unfall folgten Reha, Technikerschule und ein Bürojob als Konstrukteur. Der 54-Jährige ist umtriebig. Bei ihm ging schon so einiges. Nur einige Beispiele: Motorsport mit selbst gebauten Gespann-Maschinen mit Einzel-TÜV-Abnahme auf verschiedenen Rennstrecken, Rollstuhl-Basketball bis zur 2. Bundesliga, Wohnmobilreisen mit der Familie nach Skandinavien oder im Schlauchboot durch die Gegend schippern.

Projekt Faltboot

Aufbauen des Faltboots auf einer Wiese

Mit Kirsten (Svens Frau) und Snoopy, einer Schäferhund-Mischling-Hündin, soll jetzt das nächste Projekt angegangen werden. Ein geeignetes Faltboot, das gut ins Auto passt, musste gefunden werden. „Perfekt wäre, wenn wir den Rolli noch mit ins Boot bekommen würden. Das macht die Logistik etwas einfacher“, murmelt Sven vor sich hin, als er das Gestänge in die Bootshaut schiebt. „Das könnte klappen“, schätze ich die Lage ein. „Dat könnte nich, dat geit“, ruft Sven, während er Luft in die vier Kammern des Bootes pumpt. Auf seinem T-Shirt könnte auch stehen: „Dass Leben ist kein Konjunktiv.“

Keine 20 Minuten hat er für den Aufbau des Scubi gebraucht und blickt jetzt mit einem breiten Grinsen auf das startklar vor ihm liegende Boot. Sven hievt sich in den Bigo, ein zum Rolli umgebauter Segway, reißt das Faltboot über seinen Kopf, löst die Standsperre und rollt zur Einsetzstelle. Als Kirsten, Snoopy und auch der Hand-Rolli im Boot ihren Platz gefunden haben, kann es endlich losgehen.

Im grünen Treene-Tunnel

Mit dem Faltboot auf der Treene

Wir steuern die Boote durch die ersten sich durch die norddeutsche Landschaft mäandernden Flussschleifen, auf denen man nicht selten den Kurs um mehr als 180 Grad ändern muss. Weiden säumen die Ufer und zwingen uns immer wieder, den Kopf einzuziehen. Einige Flusspassagen gleichen einem grünen Tunnel. Snoopys entspannter Blick lässt erahnen, dass ihr das Fluss-Abenteuer durchaus nicht unangenehm ist. Nach einer Kurve wird das Flussbett enger. Möglichst nahe an der Ideallinie zu bleiben ist während solcher Passagen angesagt. So vermeidet man ungewollte Uferberührungen, die das Boot unkontrolliert aus dem Kurs bringen und womöglich unter den nächsten tief hängenden Strauch drücken würden.

Fast zehn Kilometer schippern wir auf der Treene. Unser Tagesziel, Treia, ist am markanten Kirchturm schon deutlich zu sehen. Wir nähern uns einer Aussetzstelle in Treia, an der nicht so geübten Paddlern auf einem Schild ausdrücklich empfohlen wird, das Boot aus dem Wasser zu nehmen und eine Verengung des Flusses, in der das Wasser schnell fließend eine kurze Gefällestufe passiert, zu umtragen. Sven will da durch. Sein T-Shirt mit der Aufschrift „Sabbel nich, dat geit“ spricht für sich und macht deutlich, dass solche Aktionen keinesfalls ausgelassen werden dürfen. Perfekt in der Flussmitte positioniert nähert sich das Boot der engen Durchfahrt. Nur wenige Sekunden später ist der Spaß vorbei. Die Besatzung sitzt sicher im Boot und lachende Gesichter verraten, dass es keine gute Idee gewesen wäre, auf diesen Spaß zu verzichten.

Meine Lust und Freude am Paddeln steht außer Frage. Zu sehen, wie andere Menschen sich mit ihrem Boot einen neuen Abenteuerspielplatz erobern, macht definitiv genauso viel Spaß, wie selbst neue Herausforderungen anzunehmen. Ich glaube ziemlich sicher zu wissen, dass Kirsten und Sven demnächst ein neues Freizeit-Vehikel ihr Eigen nennen werden.

Kauf ich

Snoopy erkundet schon das Ufer, während Sven sich in den wieder montierten Rolli schwingt.

Als Kirsten und ich mit den Autos wieder in Treia ankommen, hat der Skipper das Boot bereits zerlegt und die Haut trocken gewischt. Bootsgerüst, Haut, Pumpe und Paddel verschwinden im Sack. Der Parkplatz liegt nur wenige Schritte bzw. Rolli-Umdrehungen von unserer Aussetzstelle entfernt. Sven schiebt den Rucksack in den Kofferraum und grinst mich an: „Gute Tour. Geiles Boot. Super stabil.“ „Und … zurück schicken?“, erkundige ich mich vorsichtig nach dem geplanten Verbleib des Testbootes. Aus Svens Grinsen wird ein überzeugendes Lachen: „Nö, kauf ich.“                                  Sven (im Rollstuhl), Kirsten und Hund Snoopy unterwegs auf einem Pfad

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