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Herausforderungen im Liebesleben mit körperlicher Behinderung

Ein Interview mit Fachexperte Martin Kessel

Lieber Herr Kessel, Sie sind Dipl. Sexualpädagoge und befassen sich schon Jahrzehnte mit der Sexualität. Seit einigen Jahren nun auch mit den Herausforderungen auf diesem Gebiet, wie zum Beispiel Impotenz oder vermindertem Körpergefühl, verursacht durch eine Querschnittslähmung oder Multiple Sklerose. Sie sind seit 1997 Geschäftsführer der KESSEL medintim GmbH, die Medizinprodukte für die Bereiche Kontrazeption und Sexualmedizin vertreibt. Jedoch kann man bei Ihnen nicht nur Produkte erwerben, sondern hat zudem das Glück, gut beraten zu werden.

Was sind die drei häufigsten Probleme, mit denen Ihre Kunden:innen zu Ihnen kommen?

Ein Portrait von einem Mann mit kurzen braunen Haaren uns einem hellblauem Hemd an. Er hat braune Augen und lächelt. Hauptsächlich aufgrund von Impotenz beim Mann als Folge von Diabetes, der Einnahme von Blutdrucksenkern und dem Zustand nach Prostata-OP. Frauen wenden sich an uns aufgrund von Scheidentrockenheit, zum Beispiel in den Wechseljahren. Oder auch aufgrund einer zu engen Vagina (Dyspareunie), beispielsweise infolge einer Operation oder einer Krebsbehandlung, oder bei Vaginismus.

Welche Lösungen können Sie für diese drei Herausforderungen anbieten?

Tabletten, wie zum Beispiel Viagra®, Cialis®, also PDE-5-Hemmer, wirken nicht bei allen Männern mit Impotenz. Diese Männer können zu 99 % wieder eine Erektion erlangen und Sex haben mit einer Vakuumerektionshilfe. Diese Pumpen sind deshalb seit Jahrzehnten auch von der Krankenkasse als erstattungsfähig anerkannt. Impotenz ist eine Erkrankung, die aber nicht ausschließt, Sexualität leben zu können. Das gilt auch für Männer mit Querschnittslähmung.

Frauen mit Scheidentrockenheit können Zäpfchen mit Hyaluron nehmen, die die eigene Feuchtigkeit zurückbringen, oder einfach ein wasserlösliches Gleitmittel beim Sex.

Fünf unterschiedlich große Vaginaldilatoren in Pastellfarben (Cremeweiß, Rosa, Lila, Hellblau) der Marke Vagiwell. Die Dilatoren haben eine konische Form mit einer breiten, abgeschrägten Spitze. Dass Frauen eine zu enge Vulva haben können, ist ein Tabuthema in der Gesellschaft. Vaginismus oder der Zustand nach einer Chemo und/oder Bestrahlung bei Krebs kann aber auch zu einer zu engen Scheide führen. Vaginaldilatatoren helfen hier den Frauen, zu Hause zu üben und soft zu dehnen, bis wieder penetrativer Sex möglich ist.

 

Fällt es allen Kunden:innen leicht, offen mit Ihnen über Probleme zu reden, von denen sonst vermutlich niemand etwas weiß?

Solange der Penis eines Mannes immer „funktioniert“ hatte, waren dessen Feinheiten und Probleme oft kein Thema. Vielen Männern fällt es leichter, mit einem Mann über den Penis und dessen Schwierigkeiten zu sprechen. Männern fehlen manchmal auch die Worte, Sex zu beschreiben.

Frauen bitte ich zu Beginn eines Gesprächs, mir eine Chance als Mann zu geben, mein Wissen weiterzugeben. Falls eine Frau keinesfalls mit einem Mann sprechen möchte, ist das natürlich völlig okay, da wir auch Frauen in unserem Berater-Team haben. Egal ob Mann oder Frau, wichtig ist es, zuzuhören und die Frage eines Menschen zu verstehen. Denn diese ist beim Thema Sex manchmal etwas versteckt formuliert. Die richtigen Worte und Umschreibungen sind dann das Handwerkszeug, um eine Klärung und Lösung hinzubekommen.

Haben Sie immer eine Lösung für die an Sie herangetragenen Probleme parat?

Fast immer, aber natürlich gibt es auch Fragen, die nicht gelöst werden können, oder Menschen, denen nicht geholfen werden kann. Ein Weiterhelfen, also Vermitteln von anderen Spezialisten:innen, ist aber auch ein Schritt, jemanden voranzubringen zu einer Lösung.

Woher stammt eigentlich Ihr profundes Wissen auf diesem Gebiet?

In meiner Anfangszeit konnte ich bei pro familia als Sexualpädagoge und Berater viel lernen. Mein Wissen kommt also von den vielen Menschen, mit denen ich zu diesem Thema gesprochen habe. Zudem haben Fachartikel und Kongresse zur Sexualmedizin, Gynäkologie oder Urologie über Jahrzehnte den Horizont erweitert. Was ich ebenfalls als wichtig empfinde: Gespräche mit Krankenpflegenden, Hebammen, Physiotherapierenden und Ärzten:innen. 

Als Hersteller sind wir ständig mit der Forschung unserer Fachgebiete in der Sexualmedizin oder Kontrazeption beschäftigt. Ich lese daher sehr viele Fachpublikationen und betreue die Produkte fachlich im Betrieb. In 2023 haben wir eine zusätzliche Wissenschaftlerin eingestellt, die Scientific Product Management macht. Diese Mitarbeiterin überwacht zum Beispiel alle Berichte, die zu den Bereichen Impotenz, Vaginismus und vaginale Trockenheit erscheinen. Als Hersteller erstellen wir regelmäßig die Clinical Evaluation Reports (CER), in die der Stand der Wissenschaft und die Abwägung von Risiken unserer Produkte eingehen. Das erfordert gesichertes Wissen und das Sammeln von Daten der Anwendenden am Markt. Beides zusammen erlaubt es uns, qualifiziert am Markt tätig zu sein. Die Kunden:innen und auch die Vertriebspartner, die wir in über 40 Ländern haben, schätzen das sehr.

Haben Sie einen grundsätzlichen Tipp hinsichtlich der Sexualität, den Sie Ihren Kunden:innen mitgeben?

Sexualität ist eine Lebensenergie, die ein Mensch erleben kann, aber nicht muss.

Sexualität entsteht durch die erotische Spannung, die uns neugierig macht, etwas alleine oder mit einem anderen Menschen und dem Körper zu erleben. Daher bleibt Sexualität immer interessant, weil jedes Erleben immer wieder anders ist. Das, was mit unseren Gefühlen und hormonell passiert, führt zu Kräften, zu einem starken Erleben. Sexualität kann sehr verschieden aussehen und sich ganz unterschiedlich anfühlen. Sie war aber immer im Menschen und hat ihn bewegt, sich fortzupflanzen. Anders als bei Tieren praktiziert der Mensch Sexualität primär für die Lust und das lustvolle Begegnen, und nicht zur Arterhaltung.

Die „natürliche“ Sexualität wird im Leben schnell überformt von unseren Erfahrungen und Erlebnissen und auch von den gesellschaftlichen Normen. Die Kraft der Sexualität findet sich wieder in der Statistik der Nutzung des Internets. Nach medizinischen Themen ist Sex das Thema Nr. 2 im Netz. Viele Menschen machen im Laufe des Lebens immer wieder neue Erfahrungen beim Sex. Die Vielfalt ist das Spannende an der menschlichen Sexualität.

Schwarzer Spitzen-BH auf weißem Bettlaken, filigrane Details und schmale Träger.

Trotz der unzähligen Bilder der Pornografie kann jeder Mensch seine Sexualität nur selbst und an sich und seinem Körper erfahren. Nach der ersten Berührung kommt die zweite. Nach dem ersten Kuss kommt der zweite Kuss – mit der Erfahrung vom ersten.

Sie arbeiten ja schon in einer etwas außergewöhnlicheren Branche. Was erzählen Sie auf einer Party, wenn jemand nach Ihrer beruflichen Tätigkeit fragt?

Wir sagen immer, wir sind in der Medizintechnik und stellen Medizinprodukte zur Kontrazeption und Sexualmedizin her. Das ist unverfänglich. Erst die konkreten Produkte rufen dann vertieftes Interesse hervor. Wir sind stolz auf unsere Produkte, die es den Menschen erlauben, sicher zu verhüten und Sexualität (wieder) zu erleben. Es ist ein gutes Gefühl, einem Menschen Lebensqualität (zurück) zu bringen. Die unzähligen schriftlichen Rückmeldungen geben uns sehr viel Kraft voranzugehen.

Danke für Ihre Zeit!

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