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StartAmputation & Prothetik„Das erste Date“

„Das erste Date“

Ich und mein Phantomschmerz

Mein Name ist Kristina, und ich bin 40 Jahre alt.

Ich war nicht auf der Suche nach einem Wegbegleiter, aber dazu später mehr.

Ein Unfall verändert mein Leben

Es war im Jahr 2016, als ein Motorradunfall mein Leben mit einem Schlag verändert hat.
„Übermut tut selten gut“, das hat meine Oma damals schon gesagt, und ich hätte auf sie hören sollen.

Nach dem Unfall haben eine Menge Ärzte:innen versucht, mein Bein wieder zu flicken. Es hatte dann nach 34 OPs zwar seine Funktion annähernd wieder, aber leider auch einen Keim dazu gewonnen. Deshalb musste es mir am 30.12.2021 dann schließlich in Höhe des Oberschenkels amputiert werden.

Zukunftsangst & APT

Auf einmal hatte ich tausend Fragen im Kopf und zugegeben auch etwas Zukunftsangst. Mein geliebter Job als Fahrlehrerin war weg, meine Leidenschaft zum Motorradfahren schien ebenfalls unendlich weit entfernt, und eigentlich geriet mein ganzes Leben kurzfristig im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Gleichgewicht.

Google sei Dank bin ich nach meinem Krankenhausaufenthalt dann relativ schnell bei APT Prothesen gelandet. Hier arbeiten Orthopädietechniker:innen, die sich ausschließlich auf Prothesen spezialisiert haben und den Menschen mit seiner Amputation ganzheitlich wahrnehmen und versorgen. Zum ersten Mal bekam ich so einige der Fragen im Kopf beantwortet.

Auf in ein neues Leben

Mich hat relativ schnell der Ehrgeiz gepackt, mit der für mich mühevoll gebauten Prothese die ersten Schritte zu laufen. Aus den ersten Schritten wurden erste Spaziergänge und daraus die ersten Wanderungen mit meinem Hund.

An einem Gewässer am Ufer im Sand. Eine Frau sitzt und trägt an ihrem rechten Bein eine Prothese. Vor ihr steht ein kleiner, hellbrauner Hund. Am linken Bein ist sie tätowiert.

Mich hat das Konzept bei APT Prothesen dann schließlich so abgeholt, dass ich nicht nur meine zweibeinige Zukunft, sondern auch meine berufliche Zukunft dort gesehen habe.

Alles gut, bis auf …

Aber natürlich wäre es gelogen, zu sagen, dass seitdem alles perfekt ist, womit ich gerne noch einmal auf den Anfang zurückkommen würde.
Ich habe tolle Freunde:innen und eine tolle Familie, die mich immer unterstützt haben. Neue Wegbegleitende waren somit für mich kein Thema, und trotzdem stellte er sich –speeddatinggleich – relativ schnell nach der Amputation bei mir vor: DER PHANTOMSCHMERZ.

Mein Phantomschmerz

„Hallo Kristina, ich bin dein Phantomschmerz.

Allgemein gehöre ich zur großen Klasse der Nervenschmerzen. Besonders belustigt hat mich bisher, dass ich eine lange Zeit bloß als psychiatrische Erkrankung abgetan wurde.

Seit man allerdings etwas genauer über mich forscht, werde ich als neurologische Erkrankung bezeichnet.

Ganz besonders stolz bin ich darauf, dass gegen mich noch kein Kraut gewachsen ist. Es weiß nämlich niemand so richtig, woher ich wirklich komme und warum ich mir gerade den Menschen aussuche, der mich dann oft ein Leben lang am Hals hat.

Natürlich arbeiten die Wissenschaftler:innen mit Hochdruck daran, mir auf die Schliche zu kommen. Gegenwärtig lindern sie aber oft nur ansatzweise die Schmerzen, die ich erzeuge.

Auf einem Parkplatz aus Asphalt steht eine Frau. Sie trägt an ihrem rechten Bein eine Prothese. Der Fuß davon zeigt nach hinten. Sie hält die Händefläschen nach vorne. Ich bin ein wahres Genie

Denn ich bin ausgesprochen wandelfähig und kreativ. Denn ich plage den:die eine:n heftiger, den:die andere:n fast gar nicht, manche auch nur mal zwischendurch.

Meine Opfer plagen über Schmerzen im Bereich des amputierten Körperteils, die sie als schneidend, stechend oder brennend beschreiben. Manche überrasche ich auch hin und wieder mit krampfartigen Schmerzen. Ich persönlich mag die Abwechslung.

Viele Amputierte kennen mich

Was ich auch mag, ist mein Bekanntheitsgrad. Ich besuche nämlich 50–80 Prozent aller Amputierten. Leider kann ich natürlich nicht jede:n dieser 50–80 Prozent so intensiv begleiten, dafür bin ich viel zu exklusiv. Meine Intensität ist demnach sehr unterschiedlich. Allerdings sollte man sich auch nach Jahren nicht allzu sicher sein, dass ich nicht mal vorbeischaue, denn manchmal mache ich mich direkt nach einer Amputation bemerkbar und manchmal halt erst später.

Ihr wollt wissen, wie ich mein geniales Werk verrichte?

Das „Bild“ vom eigenen Körper besteht trotz Amputation weiterhin. Durch die Amputation endet schlagartig die Weiterleitung von Empfindungen aus dem abgetrennten Glied. Infolgedessen verändert sich das Reizmuster, welches über das Rückenmark ins Gehirn gelangt. Und genau das nutze ich schamlos und auch etwas schadenfroh aus. Dafür gibt es sogar ein cooles englisches Wort: Cortical Remapping.

Es gibt so viel von mir zu erzählen, und täglich entdecke ich neue Seiten an mir. Die Ärzte:innen rücken mir mit Medikamenten, Spiegeltherapie und Neurostimulatoren zu Leibe. Manches davon ist scheußlich, drum lasse ich mich bei diesen Menschen vielleicht seltener blicken. Aber wirklich sicher ist deshalb keine:r vor mir.“

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