In Brüssel 1974 geboren, wuchs Julia Koschitz in Österreich auf und wollte ursprünglich Tänzerin werden. Mit elf Jahren musste sie jedoch bei einem Vortanzen einsehen, dass andere noch besser waren. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie in Wien und gehörte in den Folgejahren zum festen Ensemble des Landestheaters Coburg und des Stadttheaters Regensburg. Seit 2002 arbeitet sie als freie Schauspielerin, ihr Kinodebüt gab sie 2006 in Ralf Westhoffs Speed-Dating-Komödie „Shoppen“ als attraktive Yogalehrerin. Es folgten Filme wie „Schweigeminute“, „Hin und weg“ und „Wie gut ist deine Beziehung“. Im Interview mit Barrierefrei berichtet Julia Koschitz unter anderem über die Dreharbeiten zu dem Film „Balanceakt“ und wie es ihr gelungen ist, in die Rolle der plötzlich an MS erkrankten Marie zu schlüpfen.
BF: In dem Film „Balanceakt“ spielen Sie eine Mutter, die die Diagnose MS bekommt und sich nun mit der neuen Lebenssituation sowie der Krankheit auseinandersetzen muss. Gab es bei Ihnen vorher schon Berührungspunkte mit MS, zum Beispiel durch Bekannte? Haben Sie die Rolle gleich angenommen und gab es daran etwas, das Sie gleich faszinierte?
JK: Es gibt zwei, drei Anknüpfungspunkte in meinem Bekanntenkreis, wobei das alles Betroffene sind, die Gott sei Dank relativ unbeschadet ihr Leben weiterleben können. Ich wusste also schon von der Angst vor dem nächsten Schub und den bleibenden Schäden, die er hinterlassen könnte. Wirklich auseinandergesetzt habe ich mich mit der Krankheit erst durch dieses Projekt. Als man mir die Rolle angeboten hat, habe ich nicht lange überlegen müssen. Ich mochte den Ansatz der Autorin, Agnes Pluch, dieses schwierige Thema ernsthaft, aber trotzdem lebensbejahend, mit Leichtigkeit und auch Humor zu erzählen. Außerdem wollte ich schon lange mit der Regisseurin Vivian Naefe zusammenarbeiten.
BF: Im Laufe des Films wie auch im „wahren Leben“ bringt diese Erkrankung (meist) starke körperliche und motorische Einschränkungen mit sich. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet, um möglichst authentisch zu erscheinen? Haben Sie Gespräche mit Betroffenen oder Medizinern geführt?
JK: Ich habe in meiner Vorbereitung erst einmal viel über MS gelesen, sowohl medizinische Berichte als auch Erlebnisberichte von Erkrankten und Angehörigen, habe mich bei der MS Gesellschaft in München informiert und hatte die großartige Gelegenheit, mich ausgiebig mit ein paar betroffenen Frauen zu unterhalten, die wie Marie bis zu ihrer Diagnose ein erfolgreiches Berufsleben mit einer Familie vereinbart und ein sehr aktives und bewegtes Leben geführt haben. Es gab viele Parallelen zu meiner Figur. Diese Gespräche, in einem Fall ein persönliches Treffen, haben mir sehr geholfen, ihre Situation in allen Schichten zu begreifen und ihre körperlichen Einschränkungen mehr oder weniger zu studieren.
BF: Wenn die letzte Sequenz gespielt, das Drehbuch geschlossen und der Film abgedreht ist – geht man dann nach so einer Rolle zur normalen Tagesordnung über oder nimmt man etwas mit?
JK: Es gibt immer einen klaren Unterschied zwischen einer Figur, die ich spiele, und meinem privaten „Ich“, aber ein paar Stunden vor und nach einer Vorstellung oder einem Dreh ist die Energie der Rolle schon spürbar da. Das ist das eine. Das andere ist natürlich, was man durch die Auseinandersetzung mit einer Geschichte und einem Charakter, mit einem Schicksal wie z.B. einer Krankheit ganz grundsätzlich mitnimmt. Das schätze ich sehr an meinem Beruf, dass ich immer wieder die Gelegenheit bekomme, neue Lebenswelten mit ihren Schwierigkeiten und Herausforderungen kennenzulernen.
BF: Sie spielen sehr facettenreiche Rollen. Gibt es eine Figur, die Sie sehr gern mal spielen würden? Und welche wäre die größte Herausforderung für Sie?
JK: Bei der Auswahl meiner Projekte versuche ich, in erster Linie auf die Qualität des Drehbuchs zu achten, aber auch auf Abwechslungsreichtum, sei es im Genre oder in den Rollen. Angebote für Charaktere, die sich stark von einem selbst unterscheiden, sind selten und natürlich umso spannender. Ich nehme an, dass es vielen Schauspielern so geht, man will sich ausprobieren, man will die Bandbreite erweitern, etwas Neues über sich erfahren. Für mich sind das die größten Herausforderungen. Die können gut gehen oder auch nicht. Es ist unangenehm, die weniger guten Resultate zu sehen, aber im Nachhinein sind es oft die Arbeiten, aus denen ich am meisten für mich herausziehen und lernen konnte.
BF: Wenn Sie die gesellschaftlichen Strukturen ändern könnten, was wäre Ihr erstes Anliegen?
JK: Es ist ganz gleich, welchen Bereich es in unserer Welt angeht, ob wirtschaftlich, politisch, sozial, umweltpolitisch, ob es unseren tagtäglichen Umgang auf der Straße angeht, ich frage mich immer wieder, ob wir die anderen wirklich so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Dieser Gedanke, der unsere Kultur so sehr geprägt hat, scheint uns in unserem System mit unseren daraus resultierenden Gewohnheiten oft abhandenzukommen.
BF: Unser Magazin möchte seinen Lesern Mut machen. Was möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben? Haben Sie eine Lebensweisheit oder ein Motto?
JK: Ich fühle mich weit davon entfernt, irgendwelche Lebensweisheiten von mir zu geben, aber ich mache mir selbst wieder Mut mit dem Gedanken, dass es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.
Foto: © ZDF/Petro Domenigg