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Dr. Wolfgang Schäuble

Dr. Wolfgang Schäuble, geboren am 18.09.1942 in Freiburg/Breisgau, ist als Mitglied des Bundestages und als langjähriger Bundesminister der Finanzen bekannt. Er setzt sich nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ein.

Seit einem Attentat sitzt er im Rollstuhl. In seiner Freizeit liest er gern ein gutes Buch oder unternimmt Touren mit seinem Handbike. Schäuble ist verheiratet und hat zusammen mit seiner Frau Ingeborg 4 Kinder. Ein von ihm gern zitierter Satz ist: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“.

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview mit uns nehmen, gerade auch in Anbetracht der anstehenden Bundestagswahlen. Das wissen wir sehr zu schätzen.

Der Posten des Finanzministers ist in der Beliebtheitsskala vielleicht nicht ganz oben anzusiedeln. Sie, Herr Dr. Schäuble, haben es als Finanzminister geschafft, unseren Haushalt zu sanieren. Welcher Euro, den Sie ausgeben müssen, schmerzt Sie am meisten? Und welchen geben Sie mit Freude?

Ich kann nicht sagen, dass mich einzelne Ausgaben aus dem Bundeshaushalt besonders schmerzen, das Allermeiste hat seine Berechtigung. Natürlich leistet sich unser Gemeinwesen auch Dinge, über die Menschen aus anderen Ländern oder auch frühere Generationen nur staunen würden, aber so ist Demokratie. Als Finanzminister ist meine Aufgabe, auch zu schauen, dass das Geld möglichst effizient ausgegeben wird. Da finden Sie regelmäßig etwas zu verbessern. Mit Blick auf die nächsten Generationen freue ich mich über verstärkte Investitionen in die Zukunft. Wir haben die Investitionsmittel im Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode um 40 Prozent erhöht und wollen diesen Weg fortsetzen. Genauso wichtig für die jungen Leute ist es aber, dass wir wieder nachhaltig wirtschaften und keine neuen Schulden machen, die kommende Generationen dann tragen müssen.

Interessantes Thema, wie so oft, ist die Rente. Einige Menschen sind bestimmt nicht mit der Höhe ihres Renteneinkommens zufrieden, gleichwohl sind sie stolz über den Beitrag, den sie für die Gesellschaft und ihr Land geleistet haben. Haben sich die Werte und die Wertschätzung in Ihren Augen von damals zu heute verschoben?

Unser Rentensystem beruht auf einem Generationenvertrag. Die Wertschätzung für die Arbeitsleistung der Rentnerinnen und Rentner, die mit ihrer Arbeit zu unserem gegenwärtigen Wohlstand in Deutschland ihren Beitrag geleistet haben, ist aus meiner Sicht unverändert hoch. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass niemand ernsthaft unser auf der Solidarität der Generationen beruhendes Rentensystem anzweifelt.

Barrierefrei ist ein Magazin wie kein anderes. Wir geben allen Menschen mit Behinderung eine Stimme. Unser Credo ist, den Menschen Mut zu machen. Das schaffen wir, indem wir Persönlichkeiten wie Sie vorstellen und somit durch Authentizität aufzeigen, was man trotz Behinderung leisten kann. Schlussendlich sollte diese nämlich keine Rolle spielen. Glauben Sie an eine gelungene Inklusion in unserer Gesellschaft oder ist es mehr Illusion?

Ziel unserer Politik ist, dass alle Menschen sich in Deutschland entsprechend ihrer Möglichkeiten frei entfalten und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Mein Eindruck ist, dass hierfür in unserer Bevölkerung ein breiter Konsens besteht. Der Staat hat dabei eine Vorbildfunktion. Für den Bund kann ich sagen, dass wir uns Mühe geben, aber mit Sicherheit gibt es Punkte, die verbessert werden können. Entscheidend für ein im großen Sinne „barrierefreies“ Deutschland ist aber, dass sich neben der Politik auch die breite Gesellschaft für dieses Ziel einsetzt.

Wenn Sie die gesellschaftlichen Strukturen ändern könnten, was wäre Ihr erstes Anliegen?

Im Großen und Ganzen können wir auf unsere gesellschaftlichen Strukturen stolz sein. Wenn ich an die vielen ehrenamtlich tätigen Menschen in Deutschland denke, an das breite Vereinsleben – sei es im Sport oder im kulturellen Bereich – oder auch an die zahlreichen politisch engagierten Menschen auf kommunaler Ebene, ist mir vor der Zukunft nicht bange. Mehr Beachtung sollten wir sicher dem Thema Chancengerechtigkeit widmen: Wie stellen wir sicher, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten die gleichen Aufstiegschancen haben?

Unsere Leser sind sicherlich auch sehr gespannt, wie Herr Schäuble außerhalb der Politik seine Freizeit gestaltet. Urlaub, Familie, Sport? Wie füllen Sie Ihre Batterien auf?

Ich lese viel, vor allem historische Bücher und Biografien, aber auch Romane. Meine Frau und ich gehen gerne ins Konzert, in die Oper oder ins Theater – da bietet Berlin immer wieder attraktive Kultur. Und wenn ich länger Zeit habe und das Wetter es zulässt wie im Sommer oder manchmal am Wochenende, fahre ich Touren mit dem Handbike.

Scheinbar kennen Sie keine Behinderung oder Barrieren. Sie suchen eher nach neuen Wegen, um das Ziel zu erreichen. Was ist Ihr Lebensmotto?

Natürlich will ich meine Ziele erreichen und als Minister habe ich es einfacher als andere in weniger privilegierter Position, aber eines ist auch wichtig: Sie kennen bestimmt die alten Filme von Don Camillo, dem Dorfpriester, und Peppone, dem kommunistischen Bürgermeister. Als Camillo sich mal wieder sehr über Peppone geärgert hat und dem Gekreuzigten sein Leid klagt, antwortet Jesus: „Ach, Camillo, nimm dich nicht so wichtig.“ Das halte ich für einen guten Rat. Man lebt besser, wenn man nicht immer alles auf sich persönlich fokussiert.

Vielen Dank für das Interview

 

Interview: Peter Lange
Fotos: Bundesministerium der Finanzen

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