Der Niederbayer Wolfgang Hermann ist seit 41 Jahren blind – Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, seinen Traum vom selbst gebauten Haus zu verwirklichen.
Angesprochen auf die Frage, wie es möglich sei, sich als blinder Mensch eigenhändig ein 930 m² großes Haus zu bauen, antwortet Wolfgang in seiner üblichen unkomplizierten Art.
„Ich bin in erster Linie Kopfwerker und erst in zweiter Handwerker“, schmunzelt er.
Der heute 73-Jährige ist davon überzeugt, dass es ohne diese Herangehensweise nicht möglich gewesen wäre, sein Vorhaben zu realisieren. Doch der Reihe nach. Im Alter von sechs Jahren erleidet Wolfgang einen mehrfachen Schädelbasisbruch. Infolgedessen bläst sich eine Ader auf, die ihm die Sehnerven abdrückt. Mit 17 Jahren kann er bereits fast nichts mehr sehen. Trotzdem arbeitet Wolfgang kurz darauf in einer Metallgießerei. Hier lernt er bereits in besonderem Maße, was es bedeutet, 100-prozentige Konzentration an den Tag zu legen.
„Mir war bewusst, dass ich bei Temperaturen von bis zu 1300 °C meine Finger nicht mehr als Augenersatz verwenden konnte.“
Als Wolfgang im Alter von 32 Jahren vollständig erblindet, wird er zur Aufgabe seines Jobs in der Gießerei gezwungen. Da Aufgeben für ihn nicht in Frage kommt, sucht er sich eine andere Beschäftigung. So beginnt er Ende der 90er-Jahre, sein eigenes Haus zu bauen.
„In gewisser Weise kann man sagen, dass der Hausbau durch Zufall entstanden ist. Häuser, die mir gefallen, hätte ich mir finanziell nämlich nie leisten können – also blieb nur das Selbermachen übrig.“
Mehr als 20 Jahre später ist ein Werk herausgekommen, in dem der gebürtige Schwelmer unter anderem über einen Kilometer Elektroleitungen verlegt, etwa 3,5 km Dachlatten und 110 kg Nägel verbaut hat. Lediglich die tragenden Gebäudeteile hat er von Handwerkern übernehmen lassen. Fest eingerichtet sind ungefähr 300 m², an den übrigen 630 m² arbeitet Wolfgang weiterhin täglich.
Seine Vorstellungskraft entspringt zum einen der Tatsache, dass er früher noch sehen konnte und daher visuelle Bilder rekonstruieren kann, wie Häuser aussehen und gestaltet werden können.
„Ich bin sozusagen geistig bereits durch das Haus gelaufen, als es noch gar nicht existierte.“
Fundamental ist darüber hinaus ein im Maßstab von 1:50 eigens gebautes Modell seines Traumhauses. Durch das Abfühlen des Modells erhält er ein Gefühl für die Proportionen, welche Wolfgang dann durch Hochrechnen auf die Realität überträgt. Ein Lieblingswerkzeug hat der 73-Jährige übrigens auch – die Tischkreissäge. Wo Zuschauern der Atem stockt, beginnt für den blinden Hausbauer erst die größte Freude.
„Ohne eine Kreissäge kann man auf dem Bau nun einmal nichts bewerkstelligen.“
Angst vor der Maschine habe er keine, einen gesunden Respekt allerdings schon.
„Leichtfertigkeit kann ich mir nicht erlauben, deshalb arbeite ich immer zu 100 Prozent konzentriert. 99,9-prozentige Konzentration reicht nicht aus.“
Nebenbei beweist Wolfgang bei der Arbeit an der Kreissäge seine fröhliche und humorvolle Lebenseinstellung. Abgesehen von der 100-prozentigen Konzentration sei lediglich das Motto „Beide Augen zu und durch!“ zu beachten.
Die faszinierende Leistung des Mannes aus dem 7.000-Seelen-Dorf Ruhstorf an der Rott bei Passau wurde neben dem Guinness-Buch der Rekorde nun auch in einem Buch festgehalten. Titel? Na, klar: „Beide Augen zu und durch!“
Wann Wolfgang das Haus gänzlich fertiggestellt haben möchte? „Wenn ich eines für äußerst kontraproduktiv halte, dann ist das Stress – also mache ich mir auch keinen und setze mir kein Zeitlimit.“
Ein Beitrag von Ansgar Scholten
Buchtipp
Ein Blinder baut sich ins GuinnessBuch der Rekorde
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